Transformation beginnt im Kopf
Können Innovationen alleine uns beim Klimawandel helfen? Eher unwahrscheinlich. Auf der Suche nach neuen Umwelttechnologien und Möglichkeiten der Stoffumwandlung stoßen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oft an Grenzen. Ein Grund: Die globale Wirtschaft denkt noch viel zu „fossil”.
Irgendeine Technologie wird die Wissenschaft schon finden, um den Klimawandel aufzuhalten. Auf den letzten Drücker vielleicht, aber ohne Einschränkungen für unseren gewohnten, westlich-industriellen Lebenswandel. Vor allem sogenannte Klimaskeptiker scheinen große Hoffnung in das Geoengineering zu setzen, bei dem mittels neuer Technologien die Atmosphäre manipuliert werden soll. In der Scientific Community werden Sinn, Nutzen und Risiken des Geoengineering kontrovers diskutiert.
Einige dieser Ideen klingen gigantomanisch und erinnern tatsächlich stark an Beschreibungen und Bilder aus Science-Fiction-Büchern und -Filmen: Der Nobelpreisträger für Chemie und Meteorologe Paul J. Crutzen beispielsweise berechnete 2006, wie viele Tonnen feinster Schwefelpartikel in die Stratosphäre geschossen werden müssten, um die Temperatur auf der Erde leicht zu senken – wie bei einem Vulkanausbruch. Er wies allerdings selbst darauf hin, dass dies eine Übersäuerung der Meere und ein Schrumpfen der Ozonschicht zur Folge hätte.
Der Astronom Roger Angel von der University of Arizona spielte eine andere Idee durch, um die Temperatur zu senken: Ein riesiger Spiegel im All, der zwischen Sonne und Erde positioniert wird und wie ein Sonnenschirm wirken soll. Auf der Erdoberfläche könnten ebenfalls Maßnahmen entwickelt werden, beispielsweise „Direct Air Capture“, ein chemisches Verfahren, um aus der Luft CO2 zu extrahieren. Da diese Technik aber nach derzeitigen Schätzungen pro Tonne CO2 bis zu 1.000 US-Dollar kosten soll, wird auch über CO2-bindende Energiewälder nachgedacht (kurz BECCS) und überlegt, wie viel Landfläche mit ihnen bedeckt sein müsste, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Allen Ideen liegen gute Ansätze zugrunde, die große Lösung bieten sie aber jeweils nicht.
Skeptiker des Geoengineerings sehen außerdem die Gefahr, dass mit solchen Lösungen die Weltgemeinschaft aufgefordert wird, noch mehr CO2 zu produzieren – und eine Bewusstseinsveränderung der Menschen bei ihrer materialistischen Bedürfnisbefriedigung damit nicht notwendig ist. Außerdem sei es moralisch fragwürdig, wenn hochtechnologisierte Industriestaaten die Entwicklungs- und Schwellenländer zu einem umweltbewussten Verhalten mahnen, das dazu führt, dass die Lebensqualität der Menschen in diesen Ländern sich nicht an die Industrieländer angleichen darf. Reicht es denn überhaupt, auf das exponentielle Wachstum unseres technologischen Fortschritts zu vertrauen? Nein, meint Dr. Christian Malek: „Durch das globale Bevölkerungswachstum und die steigende Lebensqualität helfen uns unsere Technologien und Innovationen alleine nicht weiter. Sie haben zwar Reduktionspotenziale, aber sie können die steigenden Umwelteinwirkungen einfach nicht kompensieren.“
100 Prozent Recycling geht meistens nicht
Malek ist Professor für Energie- und Ressourcenmanagement und lehrt und forscht auf der ehemaligen Mülldeponie „Leppe“ im oberbergischen Lindlar. Dort, in der Nähe zum Campus Gummersbach, betreibt die TH Köln gemeinsam mit dem Bergischen Abfallwirtschaftsverband das Lehr- und Forschungszentrum :metabolon. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fakultäten unserer Hochschule arbeiten hier in den Bereichen Energie, Umwelt und Ressourcenmanagement. Konkret steht auf der „Leppe“, wo nach wie vor ein Entsorgungszentrum betrieben wird, die Kreislaufwirtschaft im Vordergrund. Oder vereinfacht gesagt, die Entsorgung und Weiterverarbeitung von Müll, sei es in Form von Abfall, Abwasser oder Abgasen.
Zu glauben, es reiche aus, nur neue Technologien zu entwickeln, um den Müll effizienter zu recyceln und möglichst viel davon wiederzuverwerten, ist für Malek Ausdruck eines technikgläubigen „Weiter so“-Gedankens. Denn das Recycling stößt oft an Grenzen: Tatsächlich lässt sich für viele Produkte und Stoffe die Recyclingquote gar nicht auf das ideale Maß von bis zu 100 Prozent erhöhen: Denn der dafür notwendige Energieaufwand wäre mitunter deutlich höher, als wenn man mit primären Rohstoffen neue Produkte herstellt. Außerdem entziehen sich viele Stoffe durch ihren täglichen Gebrauch dem unmittelbaren Zugriff zum Recycling. Zum Beispiel Autoreifen, die durch den Abrieb beim Fahren rund 30 Prozent ihres Materials verlieren, die als Mikropartikel in die Umwelt gelangen.
„Aktuell basiert unsere Wirtschaft zu einem signifikanten Teil immer noch auf dem Prinzip der Linearwirtschaft. Das heißt, es werden fossile und mineralische Rohstoffe zur Herstellung von Gütern verwendet, die nach ihrer Lebenszeitkurve zu Müll, Abwasser und Abgas werden. Wir befinden uns derzeit in einer Übergangsphase zur Kreislaufwirtschaft, die gegenwärtig nach wie vor stark auf fossiler Energie basiert. Unser Ziel muss es aber sein, eine regenerative Kreislaufwirtschaft aufzubauen“, fordert Malek.
Um einen idealerweise zu 100 Prozent kohlenstoffneutralen Wirtschaftskreislauf zu erreichen, müsse der Einsatz fossiler Rohstoffe konsequent umgestellt werden auf einen Mix verschiedener erneuerbarer Rohstoffe. Das betrifft die Forst- und Landwirtschaft, die Produktion von Gütern, die Energiebereitstellung und die Abfallwirtschaft gleichermaßen. Malek: „Tatsächlich gibt es gegenwärtig aber viele Bereiche, in denen wir mit der aktuellen fossilen Kreislaufwirtschaft die Situation noch verschlimmern, weil wir dazu einfach zu viel Energie aufwenden müssen. Und es bleibt zu viel Müll übrig, der entsorgt werden muss.“
Derzeit werden zwei Technologieansätze verfolgt, um die Recyclingquote für fossile und mineralische Stoffe zu erhöhen. Die End-of-Pipe-Technologie ist eine additive Maßnahme, die hinter den eigentlichen Herstellungsprozess geschaltet wird. Durch sie versucht man, die durch die Produktion entstehenden Umweltbelastungen durch Neben-, Rest- und Abfallstoffe zu senken, zum Beispiel durch Abgasfilter. Bei der sogenannten Clean Technology geht es darum, über neuartige Verfahrensweisen oder Stoffrezepturen weniger Schadstoffe zu erzeugen. Doch die Effekte beider Technologien reichen bei weitem nicht aus, um die Umweltbelastungen deutlich zu senken.
Kreislaufwirtschaft als Subsystem der nachhaltigen Entwicklung
Christian Malek führt auch mit seinen Studierenden Hochrechnungen zur Entwicklung der globalen Umwelteinwirkungen durch: Diese setzen sich zusammen aus der vereinfachten Formel Bevölkerung mal Lebensqualität mal Mitweltbelastung und lassen sich auf der Zeitachse skalieren. „Bei den aktuell verwendeten Technologien neuesten Standards errechnen wir theoretisch zwar eine moderate Reduktion für die derzeitige Situation, aber die Umwelteinwirkungen werden dennoch weiter steigen, bedingt durch den zu erwartenden Bevölkerungszuwachs und das weltweite Ansteigen der Lebensqualität. Wir müssen deshalb eine holistische Betrachtung einnehmen, um zu einem nachhaltigen Wirtschaften zu gelangen.“
Es sei eben nicht nur eine Frage der Technik, sondern vor allem erfordere es eine Bewusstseinsveränderung bei den Menschen, findet Christian Malek. Weg von der materiellen Bedürfnisbefriedigung, die durch ständig weiterentwickelte technisierte Produkte den Konsumwunsch antreiben würde. Weg von globalisierten Wirtschafts- und Energiekreisläufen, hin zu regionalen Lösungen.
Diese Transformation gehe zwar nur in generativen Etappen voran und sei gerade beim persönlichen Konsumverhalten recht zäh, „aber in einigen Bereichen schwindet bereits die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern. Niemand will mehr eine weitere Mülldeponie vor der Haustür, auf der die Abfälle aus einem anderen Land oder einer anderen Region entsorgt werden.“ Müll und die Technik seiner Wiederverwertung und Entsorgung, dazu optimieren und entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf :metabolon gängige und neue Verfahren, oft in Kooperation mit regionalen Partnern; seien es Städte und Gemeinden oder Unternehmen der Abwasser- und Abfallentsorgung sowie Recyclingtechnik.
Biokohle in wenigen Stunden produzierbar
Aktuell werden in den Laboren, Mini-Plants und Pilotanlagen beispielsweise Ernterückstände zu Kohle umgewandelt, die gleichwertig zur Braunkohle ist. Nur braucht diese Biokohle keine 20 bis 60 Millionen Jahre bis zur Fertigstellung, sondern entsteht mittels hydrothermaler Karbonisierung in nur wenigen Stunden. Eine sinnvolle Zweitverwertung, da in der Landwirtschaft nur 20 bis 30 Prozent der Pflanzen als Produkt verwertet werden. Der Rest der Biomasse verbleibt bisher häufig auf dem Acker, wo Methan und CO2 entstehen und in die Atmosphäre gelangen. „Allerdings ist für jeden biogenen bzw. abfallstämmigen Reststoff ein eigenes Verfahren und möglichst eine ganzheitliche Betrachtung nötig, um als Sekundärrohstoff wieder in den Verwertungskreislauf zu gelangen“, erklärt Malek. Weshalb sich das Team auf :metabolon in fünf Arbeitsgruppen aufgeteilt hat. s. Interdisziplinär und regional
Eine davon ist die Arbeitsgruppe „Nachhaltige Stoffkreisläufe – Bilanzierung und Bewertung“. Unter der Leitung von Prof. Dr. Ramchandra Bhandari werden für die Prozessketten vom Reststoff zum Wertstoff Ökobilanzen erstellt, das sogenannte Life Cycle Assessment. Im nächsten Schritt soll die Arbeitsgruppe thematisch und nominell erweitert werden um ökonomische und soziologische Betrachtungsweisen, die die gesellschaftlichen Auswirkungen abbilden. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gesellschaft böten sich dabei besonders gut an, findet Malek: „Wir stehen erst am Anfang der Digitalisierung und bereits jetzt ist deren Energieaufwand enorm. Da stellt sich für mich die Frage, ob wir hier auf dem richtigen Weg sind.“
Mineralische Reststoffe haben Potenzial
Bisher wird das ganzheitliche, nachhaltige Wirtschaften nur in der Lehre besprochen. In der Forschung befassen sich die Professorinnen und Professoren auf :metabolon vorrangig mit der nachhaltigen Abfallwirtschaft. Derzeit stehen biogene Reststoffe im Fokus, zukünftig wollen sie auch die mineralischen Reststoffe und Verbundstoffe stärker in den Blick nehmen. Für die gibt es bereits einen riesigen Markt: Aschen und Schlacken werden für den Wasserwege- und Straßenbau sowie in der Zement- und Glasindustrie eingesetzt. Statt hier immer neue mineralische Primärstoffe zu verwenden, könnten sie mittels synthetischer Rezepturen ersetzt werden durch Abfallstoffe.
Das setzt aber voraus, dass die Abfallwirtschaft Wege findet, diese Stoffe vorher von Schwermetallen und anderen Giftstoffen zu befreien. „Entweder stellen wir endlagerungsfähige Stoffe her, die für die nachfolgenden Generationen kein räumliches und zeitliches Umweltproblem darstellen, oder es gelingt uns, Stoffe so zu transformieren, dass sie wieder als Sekundärrohstoffe eingesetzt werden können“, sagt Malek. Das sei die übergeordnete Aufgabe der nachhaltigen Abfallwirtschaft.
So oder so: Für die Forscherinnen und Forscher auf :metabolon ist die auf fossiler Energie basierende Wirtschaft dauerhaft nicht mehr tragfähig. Und eigentlich, findet Malek, müsste außerdem einmal über Änderungen des institutionellen Rahmens nachgedacht werden, beispielsweise über unser etabliertes Steuermodell: „Wieso besteuern wir unsere Arbeit und Gewinne anstatt Energie und Rohstoffe?“ Spinnt man diesen Gedanken weiter, sollten erneuerbare und mineralische Rohstoffe, die kontinuierlich in einem Verwertungskreislauf gehalten werden, Produzenten und Konsumenten unabhängiger machen von den globalen Märkten. So könnten lokale und regionale Lösungsansätze entstehen, die konsequent nachhaltig sind. Vielleicht bräuchte es dann auch keine Gedankenspiele zu geotechnischen Universallösungen, um unser Klima zu retten. Die Transformation beginnt im Kopf, nicht im Labor.
Mai 2020