Ein blockierter Kanal und seine Folgen

Prof. Dr. Hartmut Reinhard (Bild: Costa Belibasakis/TH Köln)

Mitte März blockierte das Containerschiff Ever Given fast eine Woche lang den Suezkanal in Ägypten und fügte damit der Weltwirtschaft einen milliardenschweren Schaden zu. Prof. Dr. Hartmut Reinhard aus der Fachgruppe Logistik ordnet den Vorfall ein und erläutert die Vorzüge des Kanals, mögliche Alternativen sowie die Auswirkungen auf die Produktion in Deutschland.

Warum ist die Blockade des Suezkanals ein solches Problem?

Der Suezkanal ist die wichtigste Verbindung zwischen Asien und Europa für alle Waren, die nicht zeitkritisch sind. Wenn Sie mit dem Schiff über das Kap der Guten Hoffnung fahren, ist das eine 6.500 Kilometer oder 30 Prozent längere Strecke, die zehn bis 15 Tage kostet.

Seine Bedeutung hat der Kanal aber auch durch seine Größe: Alle derzeit eingesetzten Containerschiffe können ihn befahren. Schiffe mit bis zu 20 Metern Tiefgang, 68 Metern Höhe und 77 Metern Breite – die sogenannte Suezmax-Klasse – mit einer Ladung von bis zu 20.000 Standard-Containern können eingesetzt werden. Eine ebenfalls sehr bedeutende Durchfahrt wie der Panamakanal erlaubt trotz einer sehr aufwändigen Erweiterung nur Schiffe mit maximal 15 Metern Tiefgang und rund 14.000 Containern. Und der Suezkanal hat keine Schleusen, wodurch die Länge der Schiffe keine Rolle spielt.

Welche Alternativen zum Suezkanal gibt es?

Keine guten. Die Route um Afrika herum ist wie gesagt zeitaufwändiger und teurer. Die sogenannte Nordostpassage entlang der nördlichen russischen Küste ist zwar kürzer, aber nicht zuverlässig eisfrei und damit noch anfälliger als der Suezkanal. Die Eisenbahnroute über die chinesische „Neue Seidenstraße“ ist ebenfalls kürzer, kann aber die Kapazitäten bei weitem nicht auffangen. Wenn der Suezkanal verstopft ist, kann der sogenannte Sea-Air-Verkehr gewählt werden: per Schiff nach Dubai und dort auf das Flugzeug umgeladen. Dies ist natürlich ungleich teurer und wird bei Waren gemacht, die eine komplette Seefahrt zeitlich nicht vertragen.

Hat die Abhängigkeit der Weltwirtschaft von einzelnen Transportwegen in den letzten Jahren und Jahrzehnten zugenommen?

Ja und nein. Ja, weil die Verflechtungen und die Warenströme immer globaler werden und damit die internationalen Abhängigkeiten. Aber die Transportmöglichkeiten haben sich daran angepasst – mit der Erweiterung des Panamakanals, der Eisenbahnlinie nach China oder den immer größer werdenden Schiffen. Insofern ist das weitgehend ausgeglichen. Lieferketten sind ja nicht nur von verkehrstechnischen Problemen bedroht, sondern in gleichem Maße auch von politischen Gefahren, wie plötzlich eingeführten Zöllen.

Haben die Unternehmen die Möglichkeit, sich von solchen Abhängigkeiten zu befreien?

Ja, natürlich. Die Frage ist nur: zu welchem Preis? Wir leben in einer Zeit, in der die Produktion im Sinne eines „Just-in-time“ optimiert wird. Ein großer Teil der benötigten Materialien befindet sich dabei aufgrund der langen Wege aus Fernost nach Europa immer auf den Transportmitteln. Das ist fehleranfällig. Man könnte also wieder Lager aufbauen und zwar in unmittelbarer Nähe. Das bindet dann aber jede Menge Kapital.

So stellt sich die Frage, ob es weltwirtschaftlich sinnvoller ist, diese Warenbestände aufzubauen oder gelegentlich das Risiko einzugehen, dass mal etwas nicht sofort verfügbar ist. Zumal durch mehr Lagerhaltung die Produkte auch teurer werden. Die Menschen müssen also mehr Geld für die gleichen Waren ausgeben oder sie kaufen weniger Waren. Der Wohlstand sinkt.

Wer Just-in-time produzieren will, kauft also das Risiko ein, dass einzelne Ereignisse die Produktion zeitweise lahmlegen?

Ja, aber haben Sie persönlich etwas von der Suezkrise bemerkt? Ich auch nicht. Wenn das Auto aufgrund eines solchen Vorfalls mal einen Monat später ausgeliefert wird, ist das weniger problematisch, als wenn es auf Dauer zehn Prozent teurer wäre. Natürlich darf das nicht für kritische Bereiche gelten, wie die Lieferengpässe für Masken während der Corona-Pandemie gezeigt haben. Aber für den großen Bereich unserer Wirtschaft und für unseren Wohlstand sind solche Vorfälle aus meiner Sicht zwar ärgerlich, aber nicht bedrohlich.

Juni 2021

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