Heiligenfiguren und Feldtelefone – Bürgerberatung des CICS am 27.6.2022 in Ahrweiler
Ein Jahr nach der Flut leiden die betroffenen Bürger*innen von Ahrweiler noch sehr unter den Folgen der Katastrophe. Einzelne persönliche Objekte, die aus den Fluten gerettet werden konnten, geben den Eigentümer*innen Halt und spenden Trost. Auch diese Schätze benötigen Hilfe, da sie unter der Überflutung und anschließende Reinigungsversuche gelitten haben.
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Symbole der Hoffnung
Was haben verschiedene Heiligenfiguren, Ölgemälde, Aquarelle, historische Bücher, Zinngeschirr, ein Souvenirglas und Feldtelefone gemeinsam, die am 27.6.2022 von Bürger*innen des Ahrtals zur restauratorischen Bürgerberatung in den Museumscontainer der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler mitgebracht wurden? Alle diese Wertgegenstände wurden ab dem 14. Juli 2021 von der verheerenden Flut an der Ahr überspült und beschädigt, konnten aber anschließend geborgen werden. Es handelt sich um persönliche Schätze, die mit dem Ziel der Erhaltung einer besonderen Zuwendung bedürfen.
Gerade jährt sich das Ereignis der Flut, welches in nahezu jeder Hinsicht das Leben der betroffenen Ahr-Anwohner*innen verändert hat. Bei vielen wird es noch Monate oder Jahre dauern, bis sie existenzielle Sorgen überwinden können. Man könnte meinen, dass angesichts der zu bewältigenden, alltäglichen Probleme die Gedanken an die Erhaltung einiger der mitgebrachten Objekte noch aufgeschoben werden können. Die Schrecken des Sommers 2021 sowie die Angst vor einer neuerlichen Flut bleiben jedoch und offenbar kommt gerade diesen persönlichen Wertgegenständen, die die Flut überstanden haben, eine besondere psychologische Rolle zu: Sie erinnern an die Zeit vor der Katastrophe und symbolisieren in gewisser Weise das Überstehen der Flut. Sie spenden Trost und Hoffnung. Diese intensiven Eindrücke konnten die Mitglieder des Beratungsteams in den Gesprächen mit den Ahranwohner*innen anlässlich der Bürgerberatung gewinnen.
Eindrücke von der Vor-Ort-Beratung und den untersuchten Objekten
Blick in den Museumscontainer der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler: Während der Bürgerberatung am 27.6.2022 waren Anwohner*innen aus dem Ahrtal eingeladen persönliche Wertgegenstände, die durch die Flut beschädigt sind, zur restauratorischen Untersuchung vorzustellen. Das Angebot traf auf ein reges Interesse. (Bild: TH Köln - CICS - Lisa Burkart)
Die Objekte wurden fotografiert und in ihrer Herstellungstechnologie sowie den Schäden beschrieben. Am Ende der Beratung standen Empfehlungen für die Pflege und das weitere Vorgehen in Richtung einer Restaurierung. Die Ergebnisse der Beratung wurden in Wort und Bild festgehalten und nach der Veranstaltung den Eigentümer*innen zugesendet. (Bild: TH Köln - CICS - Lisa Burkart)
Die Rückseite dieses Leinwandgemäldes zeigt den Wasserstand im Wohnraum der Eigentümerin. Das Wasser der Ahr transportierte eine Mischung aus Flussschlamm und allem, was es mitreißen konnte. Wie sich bei den Arbeiten an einem Museumsobjekt aus Ahrweiler in den Ateliers in Köln feststellen ließ, haftet der Schmutz sehr stark an, was die Reinigung zu einer enormen Herausforderungen macht. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Auch die Vorderseite des Gemäldes zeigt den verschmutzten und den sauberen Bereich. Die Malschichten wurden nur oberflächlich betrachtet, weil im Team des CICS kein/e spezialisierte/r Restaurator*in zugegen war. Es wurde empfohlen für eine präzise Schadensanalyse eine/n Fachrestaurator*in zu kontaktieren. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Eine elegante, geschnitzte Skulptur zeigt die Heilige der Hutengemeinschaft Niederhut in Ahrweiler, die Heilige Katharina von Alexandrien. Die Katharina wird durch das Märtyrerrad gekennzeichnet, welches sie in der linken Hand hält. Die Figur musste fast zwei Wochen im Flutgebiet ausharren, bevor sie geborgen werden konnte. Angesichts der massiven Belastungen durch die Überflutung haben sich erstaunlich geringe Schäden eingestellt. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Trotzdem offenbaren sich beim genaueren Hinschauen hohle Stellen der Farbfassung. Hier der Blick in eine Gewandfalte der Heiligen Katharina, die der Länge nach aufgerissen und vom hölzernen Träger abgelöst ist. Dieser Schaden muss dringend behoben werden, da die Fassung an dieser Stelle äußerst sensibel auf mechanische Belastungen reagiert. Jedes Anfassen könnte das Einbrechen der Fassungsschichten bedeuten. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Bücher trifft eine solche Katastrophe besonders schwer. Im Bild sehen Sie das Beispiel einer Pantheologia mit Buchdeckeln aus Holz, die in einen Pergamentumschlag eingeschlagen sind. Aufgrund des Wassers sind alle Buchmaterialien aufgequollen und insbesondere die Buchseiten haben sich nach der Trocknung wellig verformt. Der Buchblock ist aufgrund des enormen Quelldrucks vom Einband gerissen. Hier kann ausschließlich ein/e Fachrestaurator*in für Bücher für "Linderung" sorgen. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Ein Aquarell des Erfurter Künstlers Jürgen Pretzsch musste aus seinem verglasten Zierrahmen genommen werden, um es genauer zu untersuchen. Insbesondere auf dem Passepartout zeigen sich Schäden am Papier, Wasserränder und Schimmelflecken. Das Aquarell selber hat sich dagegen relativ robust gegenüber dem Flutwasser behauptet. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Die Aufnahme mit einem USB-Mikroskop zeigt den schwarzen Schimmelbelag, der sich während der Trocknungsphase auf dem Papierträger gebildet hat. Es wurde angeraten, das Blatt bis zur restauratorischen Behandlung geschützt und am besten abseits der Wohnräume aufzubewahren, damit sich die eventuell gesundheitsschädliche Wirkung der Schimmelsporen hier nicht entfalten kann. Weiterhin wurde dringend von einer eigenmächtigen Schimmelbehandlung abgeraten. Dies ist eine typische Aufgabe für eine/n Fachrestaurator*in, die oder der eine Behandlung unter Bewahrung der frischen Farbigkeit des Aquarells vornehmen kann. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Zu den unerwarteten Objekten der Bürgerberatung gehörte dieses U.S.-amerikanische Feldtelefon "EE-8B" aus der Serie der "TM 11-333"-Telefone. Das Bild zeigt die typischen Schlammspuren auf dem Gehäuse, der Feldtasche und dem Hörer. In Ermangelung eine/r/s Spezialist*in auf dem Gebiet dieser Objekte waren zunächst die Recherchefähigkeiten der Berater*innengruppe gefragt. Für die Besitzerin handelt es sich um ein wichtiges Erinnerungsstück. Wir konnten hoffentlich mit einigen Rechercheergebnissen und Hinweisen zur Pflege helfen. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Dieses Souvenirglas besteht aus dem Glaskörper und einer im Fuß des Weinrömers untergebrachten, mechanischen Spieluhr (im Bild bereits demontiert). Letztere spielt seit der Flut nicht mehr, weil sie durch Korrosion Schaden genommen hat. Das Getriebe des Spielwerks muss von Rost befreit und mit einem Korrosionsschutz ausgestattet werden. Ein weiteres Problem stellt die in ihre fünf einzelnen Schichten delaminierte und verformte Grundplatte für die Spieluhr dar. Vor der Wiederbefestigung im Fuß des Glases müssen die Furniere miteinander verklebt und die Platte begradigt werden. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Die Christusskulptur im Bild hat leider nach der Flut anlässlich eines ungeeigneten Reinigungsversuchs gelitten. Sowohl im Inkarnat als auch am roten Umhang sind Fehlstellen und Wischer entstanden, welche die Figur, die die Flut offenbar gut überstanden hat, optisch in Mitleidenschaft ziehen. In den Empfehlungen der den Eigentümer*innen übermittelten Kurzberichte wurden aus dieser Erfahrung heraus "Dos and Don'ts" benannt. (Bild: TH Köln - CICS - Konstantin Fischer)
Bürgerberatung im Museumscontainer
Am 27.6.2022 fanden sich insgesamt 26 Bürger*innen aus Ahrweiler und anderen Orten des Ahrtals zu einer restauratorischen Bürgerberatung im Museumscontainer hinter dem Weißen Turm mit ihren Schätzen ein. Die Kulturreferentin der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler Heike Wernz-Kaiser – selber eine Flutbetroffene – hatte die Idee zur Veranstaltung und das Team der Studienrichtung Objekte aus Holz und Werkstoffen der Moderne des CICS nahm die Einladung dankbar an. Im Mittelpunkt der Beratungsaktivitäten [1] standen also flutgeschädigte Kunstwerke, kunsthandwerkliche Gegenstände oder auch Alltagsgegenstände, die für die Besitzer*innen einen besonderen Wert haben.
Eine Gruppe von Studierenden und Lehrenden untersuchten die Objekte und fertigten Fotos und Kurzprotokolle an. Jene enthalten Ausführungen zur Herstellung sowie zu den Schäden und Einschätzungen der Dringlichkeit weiterer Untersuchungen und Restaurierungen. Das Kurzprotokoll enthält weiterhin Hinweise zum Finden von Fachrestaurator*innen, zur Pflege und zum vorsorglichen Umgang mit den Gegenständen. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden in Köln nachbearbeitet und den Eigentümer*innen zugesendet.
Danksagung und Hinweise
Mindestens so wichtig wie die Untersuchung der Objekte waren die Gespräche mit den Bürger*innen vor Ort. Viele Besucher*innen erzählten bereitwillig von den Geschichten der Objekte in der Flut und führten somit den Kölner Restaurator*innen die besondere Relevanz der persönlichen Wertgegenstände vor Augen. Es stockten die Stimmen und auch flossen einzelne Tränen in der Erinnerung an die katastrophale Zeit. Wir bedanken uns sehr herzlich bei den Ahrweiler*innen für das uns entgegengebrachte Vertrauen!
Weiterhin bedanken wir uns bei Heike Wernz-Kaiser für die Einladung in den Museumscontainer. Nach einer ähnlichen Veranstaltung, die Anfang Juni von dem aus dem Ahrtal stammenden Prof. Martin Brückner aus Delaware U.S.A. und seinen Studierenden der Museologie und Restaurierung angeboten wurde, war dies bereits die zweite Veranstaltung dieser Art und es werden in der Verantwortung des Kulturreferats der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler voraussichtlich weitere folgen, um den Bürger*innen aus dem Ahrtal weitere Unterstützung zukommen zu lassen. Informationen zu den Aktivitäten rund um die Rettung kultureller Flutopfer finden Sie auf den Seiten des Museumsverbands Rheinland-Pfalz.
Neben einigen Eindrücken aus der Bürgerberatung werden in der Bildergalerie auch ausgewählte Objekte gezeigt. In den Untertiteln finden Sie kurze Informationen zum Befund und zu den Empfehlungen, die wir gegeben haben.
[1] Der WDR berichtete im dritten Fernsehprogramm in der Lokalzeit Bonn am 28.6.2022.
Juli 2022