Ein unterschätztes Handwerk - Möbel polstern nach traditioneller Art
Im SoSe 2022 beschäftigte sich eine Gruppe von drei Masterstudierenden unter Anleitung einer ausgebildeten Raumausstatterin und Bachelor-Studentin (!) mit dem Neuaufbau einer Polsterung nach traditionellem Vorbild an einem zweisitzigen Sofa des 19. Jahrhunderts. Die Aufgabe entwickelte sich zu einer Herausforderung für alle Beteiligten!
Springe zu
Studienprojekt auf einen Blick
Kategorie | Beschreibung |
---|---|
Workshop | Im Rahmen eines Moduls für das zweite Mastersemester wurde ein Federsitzpolster an einem Sofa des späten 19. Jahrhunderts von Grund auf aufgebaut. Das Modul fand in Zusammenarbeit der Lehrenden der Studienrichtungen Textil und Archäologische Fasern (TAF) und Objekte aus Holz und Werkstoffen der Moderne (HOM) statt. |
Studienrichtung | Objekte aus Holz und Werkstoffen der Moderne |
Beteiligte Studierende | Maria Miltschitzky, Carla Grewer, Dominic Huber, Johanna Gerling |
Betreuung | Johanna Gerling (Raumausstatterin und Studentin in der Studienrichtung TAF), Laura Peters M.A. (TAF), Andreas Krupa Dipl-Rest (FH) M.A. (HOM) |
Zeitraum | 4.. bis 14.4.2022 |
Ausgangslage
Im April 2022 fand die zweite Auflage eines Workshops zum Thema Polsterrestaurierung statt. Im ersten Durchgang des Workshops wurde ein Sofa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf den technologischen Aufbau und den Zustand untersucht. Im Fokus stand die Sitzfläche des Zweisitzers, der gestalterisch in den Stil des Louis-Philippe eingeordnet werden kann. Umgangssprachlich werden Sofas dieser Art auch als "Dromedar" oder "Loriot-Sofa" bezeichnet.
Bereits auf den ersten Blick und nach haptischen Tests wurde offenbar, dass das Sofa nicht mehr sitzbereit war. Am Ende der Untersuchung musste leider auch konstantiert werden, dass sich die Sitzfläche bzw. der überwiegende Teil der Materialien der Sitzfläche nicht retten lassen. Die erhaltenen, aber gerissenen und teilweise aus einer Reparaturphase stammenden Gurte, die ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogenen Polsterleinen und auch die teils zu Fragmenten und Staub abgebauten Füllstoffe konnten nicht wiederverwendet werden. Einzig die Stahlfedern schienen noch brauchbar zu sein.
Chronologie des Sitzpolsteraufbaus
Der Patient: ein Louis-Philippe-Sofa aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Zweisitzer erwies sich während der Untersuchungsphase im Wintersemester 2021/22 im Hinblick auf das Sitzpolster als "Totalschaden". Sämtliche Materialien zeigten irreversible Alterungs- und Nutzungsschäden. Aus diesem Grund, und weil das Sitzmöbel wieder sitzbereit sein soll, wurde entschieden das Sitzpolster zu entfernen und neu aufzubauen. (Bild: TH Köln - CICS - SR HOM)
Die Basis für das neue Sitzpolster bietet die Gurtung, die bei einem Hochpolster mit Federn unterhalb der Sitzzargen des Sofas befestigt wird. Johanna Gerling setzt den ersten Gurt und zeigt ihren Kommiliton*innen das Vorgehen. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Zuerst wurden die Gurte zwischen der Vorder- und der Hinterzarge gespannt. Unter den interessierten Blicken seiner Kommilitoninnen und unter Zuhilfenahme eines Gurtspanners befestigt Dominic Huber einen Gurt an der Vorderzarge. Mit einem Fuß steht er auf dem Gurt, um die richtige Spannung zu erzeugen. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Im nächsten Schritt wurden die Federn auf der Gurtung verteilt und auf den Gurten festgenäht. Die Federn stammen noch aus dem ursprünglichen Polster und sind damit die einzigen Materialien, die in diesem Fall wiederverwendet werden konnten. Die Federn werden systematisch angeordnet, damit später in allen Bereichen der Sitzfläche der gewünschte Komfort eintritt. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Mit vereinten Kräften wurden anschließend die Federn "gestellt" und nach einem komplexen System geknotet. Auch während dieses Gangs muss bereits die spätere Form des Polsters antizipert werden. Hier muss insbesondere die Höhe des Polsters bedacht werden. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Das Bild zeigt deutlich, wie schwierig dieser Arbeitsschritt ist. Carla Grewer und Dominic Huber "kämpfen" mit der Schnürung und den Federn. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Das Detail zeigt einige der unterschiedlichen Knotentechniken der Schnürung, die die Federn sowohl in der Breite als auch in der Tiefe der Sitzfläche untereinander verbindet. Die Enden der Schnüre wurden auf der jeweiligen Zarge befestigt und damit die Höhe des Polsters bestimmt. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Im Bild ist das Sofa nach der Schnürung der Federn zu sehen. Alle Mühen haben sich gelohnt! Die Federn sind gestellt und durch die Schnürung zu einer festen Einheit verbunden. Ein erstes, vorsichtiges Probesitzen konnte schon stattfinden. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Im nächsten Schritt wurde das Federleinen mit Überstand aufgelegt und damit begonnen die Federn mit dem Leinen zu vernähen. Das Federleinen trennt den Hohlraum im Bereich der Federn von der Fasson, damit die Füllstoffe der Fasson nicht durchrieseln. Ein weiterer Effekt ist die zusätzliche Stabilisierung der Federeinheit.. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Die Aufsicht auf das Sitzpolster zeigt den Zustand nach der Befestigung des Federleinens. Die Federn wurden mit dem Leinen vernäht und auch sogenannte Lasierstiche gesetzt. Diese Fäden werden locker genäht und dienen im nächsten Schritt zur Befestigung der Füllstoffe. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Nun erfolgte der Aufbau der Fasson. Der aus dem Französischem stammende Begriff erklärt die Funktion: die Fasson ist der Arbeitsschritt, in dem wesentlich die Polsterform definiert wird. Durch den Eintrag eines groben Füllmaterials - hier im Beispiel Afrik, das ist eine Palmfaser - wird auch bereits der Sitzkomfort erheblich erhöht. Die Palmfaserbündel werden unter den Lasierfaden geschoben. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Maria Miltschitzky und Carla Grewer verzupfen das Füllmaterial, damit sich aus dem portionsweise eingebrachten Material eine Einheit bildet. Würde der Lasierstich durchgeschnitten werden, sollte das Material so gut und gleichmäßig verzupft sein, dass es sich als Matte abheben lässt. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Im nächsten Schritt wurde das Fassonleinen in Position gebracht. Das Leinen fasst das Füllmaterial ein und wird im nächsten Schritt mit dem bisherigen Aufbau fest verbunden. Ähnlich wie das Federleinen wurde auch das Fassonleinen zunächst mit Überstand aufgelegt. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Auf dem nur vorläufig gespannten Fassonleinen wurden Polsternadeln in einem festgelegten Muster gesteckt. Diese halfen bei der Orientierung während des sogenannten "Durchnähens". Bei diesem Arbeitschritt wird mit einer langen Spezialnadel das gesamte Polsterpaket zu einer festen Einheit vernäht. Auf der Abbildung sieht man, wie Maria Miltschitzky die Nadel von unten durch Gurtung, Federraum, Federleinen, Füllmaterial und Fassonleinen sticht. Die Stiche werden in einem weiteren Arbeitsschritt festgezogen und somit das gesamte Polster verdichtet. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Ein besonders wichtiger Arbeitsschritt ist die Definition der Vorderkante des Sofas. Johanna Gerling formt und festigt hier mithilfe einer Rundnadel die Wulstkante. Dieser Schritt ist ein Teil der "Kantengarnierung" - die Arbeitsphase, in der die Polsterkanten geformt werden. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Nach Abschluss der Durchnäharbeiten und der Kantengarnierung zeigt sich in der Aufsicht des Sitzpolsters dieses Bild. Das Polster hat nun eine definierte Form und es fehlen nur noch wenige weitere Arbeitsschritte: die Pikierung, der Weißpolsterbezug und der abschließende dekorative Bezug einschließlich des Besatzes. (Bild: TH Köln - CICS - Andreas Krupa)
Inhalt des zweiten Workshops - Aufbau eines Federhochpolsters
An diesem Punkt setzte nun der zweite Workshop an. Konnte im Zuge des ersten, nur einwöchigen Workshops bereits ein Einlegepolster in Flachpolstertechnik für einen in der Studienrichtung HOM befindlichen Armlehnstuhl aufgebaut werden, so ergab sich im Rahmen des aktuellen und zweiwöchigen Workshops die Gelegenheit sich einer komplexeren Aufgabe zu widmen: dem Aufbau eines Federhochpolsters für das bereits vorgestellte Sofa.
Den Prozess und die Ergebnisse des Polsterns zeigen wir Ihnen anhand einer Bildergeschichte. Bitte klicken Sie sich durch die Bildergalerie um die wesentlichen Arbeitsschritte verfolgen zu können. Alle Bilder sind mit ausführlichen Untertiteln versehen.
Fazit und Danksagung
Der Workshop endete mit zufriedenen Studierenden und Lehrenden, die durch dieses experimental-archäologische Projekt einen intensiven Einblick in die Herausforderungen des Polsterns nach traditioneller Vorgehensweise erhalten haben. Wir dürfen zugeben, dass nur die Raumausstatterin und Studentin der Studienrichtung Textil und Archäologische Fasern Johanna Gerling die Arbeitsintensität des Unterfangens richtig einschätzen konnte.
Der Workshop wäre ohne Frau Gerling unmöglich zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen. Einen herzlichen Dank für die zeitintensive, freiwillige und selbstlose Unterstützung!
Ein zweiter Glücksfall waren die teilnehmenden Studierenden, die unermüdlich, weitestgehend selbstständig, unter der Anleitung von Frau Gerling und mit großer Zielstrebigkeit auf das Ergebnis zugearbeitet haben. Auch hierfür: Herzlichen Dank!
Die Beschäftigung mit Polstertechniken soll in weiteren Workshops fortgesetzt werden. Wir werden hier darüber berichten.
Mai 2022