Physik vom Sofa: Interdisziplinäres Team entwickelt ferngesteuerte Grundlagenversuche
Spukt es im Labor von Mohamed Ait Tahar am Institut für Physik? Unvermittelt heult ein Getriebe auf, ein Kupferrad schwingt plötzlich einmal hin und her, Lämpchen blinken auf und erlöschen wieder. Nein, beruhigt Ait Tahar, was man hier sieht, seien Bachelorstudierende bei physikalischen Grundlagenversuchen. Und wo sind die Studierenden?
An ihrem heimischen Computer, antwortet der Diplom-Physiker. Die Versuche führen sie durch mit Hilfe des neuen E-Learning-Portals Fernsteuerung von realen Experimenten über das Internet (FREI).
Das Institut bietet Grundlagenversuche für Studierende von neun Bachelorstudiengängen aus den Fakultäten für Informations-, Medien und Elektrotechnik, für Produktion und Fahrzeugtechnik sowie für Anlagen, Energie- und Maschinensysteme.
Darunter angehende Automatisierungs- und Produktionstechniker oder Rettungsingenieure. Seit die doppelten Abiturjahrgänge an die Hochschulen strömen, kämpfe man mit Kapazitätsproblemen, erläutert Ait Tahar. "In den letzten Jahren gab es so viele Erstsemester, dass aus Kapazitätsgründen nicht mehr alle Studierenden alle Versuche mitmachen konnten. Um eine breite fachliche Ausbildung zu sichern, haben wir eine ergänzendes Lehrangebot entwickelt."
Seit März 2012 arbeiten Ait Tahar und sein interdisziplinäres, studentisches Team gemeinsam mit dem Institut für Physik und ihre Didaktik der Universität zu Köln am FREI-Projekt. Inzwischen können acht Experimente über das System gesteuert werden, unter anderem Versuche zu mechanisch erzwungenen Schwingungen, gedämpften elektrischen Schwingungen oder zur Schadensanalyse an einem Getriebe. Vier der acht Experimente sind schon seit drei Semestern in der Lehre etabliert. Für jeden Versuch wurde der Aufbau so umgestaltet, dass er elektronisch bedient werden kann. Über eine Schnittstelle ist er mit dem Internet verbunden.
In einem eigens entwickelten Buchungssystem können sich die Studierenden anmelden und ein Zeitfenster für das gewünschte Experiment reservieren. Von zu Hause aus starten sie das Experiment, stellen die gewünschten Parameter ein und können nicht nur die Ergebnisse elektronisch auslesen und speichern, sondern das Geschehen auch per Web-Cam live verfolgen. Durch diese neue Art der Lehre könnte das Institut die Anzahl der Labortermine verdoppeln.
"Die praktische Arbeit im Labor wird durch FREI nicht ersetzt, sondern ergänzt", betont Ait Tahar. "Alle Studierende machen zurzeit rund drei Viertel ihrer Versuche vor Ort, die anderen über das Internet." Um die Qualität der Lehre zu sichern, hat das Institut für Physik und ihre Didaktik eine Lernzuwachsstudie und Evaluation betreut. "Es gab eine Gruppe, die die Experimente über das Internet gemacht haben, sowie eine Kontrollgruppe, die im Labor am Campus Deutz war. Die Lernerfolge beider Gruppen sind weitgehend identisch", sagt Ait Tahar. Während das Team kurzfristig plant, weitere Experimente an der TH Köln zu entwickeln und einzubinden, könnten sich mittelfristig auch andere Hochschulen an FREI beteiligen. "Wir haben das System nur aus Standardkomponenten aufgebaut. So können andere Hochschulen unsere Experimente nachbauen oder selbst Versuche entwickeln. Über unser Buchungssystem könnten dann die Studierenden aller beteiligten Hochschulen alle Experimente absolvieren. So entstünde eine Vielfalt, von der alle Partner profitieren", so Ait Tahar.
Text: Christian Sander
August 2015