Ein Artikel aus dem Hochschulmagazins Inside out

Keine Energiewende ohne Energiespeicher

Die Energiewende hat viele Befürworter. Und auch einige Verhinderer. Offiziell wird die Verzögerung der Energiewende oft mit fehlenden Technologien begründet. „Stimmt nicht“, sagt Prof. Dr. Ingo Stadler. Gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Michael Sterner (Technische Hochschule Regensburg) hat er deshalb das Buch „Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration“ geschrieben.

Beim Vergleich der Speichertechnologien geht es den Autoren weniger darum, welche die besten sind, sondern wie man sie am klügsten kombinieren kann, um zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Prof. Dr.-Ing. Ingo StadlerProf. Dr.-Ing. Ingo Stadler lehrt an der Fakultät für Informations-, Medien- und Elektrotechnik. (Bild: Thilo Schmülgen/FH Köln)

Herr Stadler, Sie wollten ein „allumfassendes, aktuelles und hochwertiges Buch“ über Energiespeicher schreiben. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Jetzt, wo es vor mir liegt, bin ich damit sehr zufrieden. Michael Sterner und ich wollten das Buch schreiben, weil es schlichtweg bisher keines dazu gab. Ein paar Werke behandeln das Thema eher rudimentär, da sie entweder nur Batterien oder nur die Warmwasserspeicher fokussieren. Wir stellen dagegen sämtliche Technologien vor, die man zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte genutzt und ausprobiert hat.

Haben denn alle diese verwendeten Technologien Potential für die Zukunft?
Wir wollen in unserem Buch den Wandel vom alten zum erneuerbaren Energiesystem darstellen. Häufig heißt es: „Hätten wir die Energiespeicher, dann wäre die Energiewende kein Problem.“ Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass wir immer Energiespeicher gebraucht haben. Erdgas bevorraten wir in Kavernen, bevor es im Kraftwerk verarbeitet wird. Ein fließendes Gewässer ist letztlich gespeicherte potenzielle Energie, die man in elektrische umwandeln kann. Bei den erneuerbaren Energien geht es entweder um Stromspeicher oder um das Speichern von Endenergie wie Wärme und Kälte, die wir aus Strom erzeugen und sehr einfach und günstig speichern können.

Also ist das Speicherproblem technologisch gelöst?
Ganz genau.

Warum benutzen wir sie dann nicht?
Das ist ein bisschen wie das Henne-Ei-Problem. Im Moment brauchen wir die Speicher noch gar nicht. Was wir momentan mit Solar- und Windkraftanlagen produzieren, können wir noch gut über Erdgas- und Kohlekraftwerke ausgleichen. Wir müssen jetzt also mehr Energie über Wind und Solar produzieren, um so den Bedarf an modernen Energiespeichern zu wecken. Ich vergleiche das gerne mit der Geburt eines Kindes. Es wird häufig gesagt, die einzige Rolle des Mannes ist, die Frau ins Krankenhaus zu fahren. Mein Vater hat das 1970 mit einem alten Audi 80 super hingekriegt. Aus heutiger Sicht ist dieser Audi aber kaum fahrbar. Und mit der Energiewende ist es genauso: Man kann sie heute schon realisieren, aber wenn wir in 50 Jahren zurückblicken, werden wir die heutigen Speicher als teuer und ineffizient beurteilen. Deshalb forschen wir auch an deren Weiterentwicklung. Aber es macht keinen Sinn, noch mit der Anwendung zu warten.

Geben Sie in ihrem Buch auch Denkanstöße, wie die einzelnen Technologien weiterentwickelt werden könnten?
Letztlich wird es in allen Bereichen Ausbauphasen geben. Aber wie die sich entwickeln, das diskutieren wir nicht.

Sie behandeln in dem Buch elektrische, elektorchemische, chemische, mechanische und thermische Speicher. Haben Sie einen Favoriten?
Das ist immer eine Frage des Anwendungsbereichs. In Deutschland konzentriert sich die Forschung stark auf die elektro-chemischen Speicher, also alles, was man mit dem Oberbegriff „Batterien“ beschreiben kann. In der Vorstellung viele Menschen, und damit auch vieler Politiker, ist ein Energiespeicher gleichbedeutend mit einer Batterie. Die sind allerdings leider die teuersten Energiespeicher. Meine Favoriten sind deshalb alle unbeachteten Stiefkinder, die meiner Meinung nach Energie deutlich günstiger speichern können.

Also alle anderen Formen?
Energiespeicher sind vor allem dann günstig, wenn wir Strom und Wärme, oder Strom und Kälte koppeln, oder Strom und Verkehr. Denn über einen günstigen thermischen Energiespeicher können wir die gleiche Aufgabe im Strombereich erfüllen. Energiewende heißt zukünftig nicht mehr, den Strom separat von der Wärmeerzeugung und dem Transportwesen zu betrachten. Alles gehört miteinander vernetzt, wie beim Elektroauto. Hier sind Mobilität und Strom gekoppelt. Der Speicher kann sowohl für das Fahren als auch für das Stromnetz genutzt werden. Bei der Strom-Wärme-Kopplung heißt das: Produzieren wir gerade über den Wind zu viel Strom, dann leiten wir diesen in Wärmepumpen für Wohnhäuser ab, speichern also dort die frisch gewonnene Energie. Weht der Wind dann mal nicht, kann man die gespeicherte Wärmeenergie wieder umwandeln.

Diese Kraftwärmekopplung findet bisher nur rudimentär statt.
Das stimmt. Bisher läuft die Kraftwärmekopplung ohne Speicher, d.h. im Prinzip laufen die Kraftwerke in Köln immer dann, wenn es kalt wird und Wärme gebraucht wird. Der dann produzierte Strom wird nicht gespeichert, was viel zu teuer wäre, sondern manchmal zu Tiefstpreisen verkauft. Das andere Prinzip ist aber besser: Wärme speichern wir um einen Faktor bis zu 1000 günstiger als Strom. Es lohnt sich deshalb, Strom und Wärme dann zu produzieren, wenn für den Strom hohe Erlöse erzielt werden können und er aus Windkraft und Solarenergie nicht zur Verfügung steht. Im Buch beschreiben wir deshalb die Kopplung der Systeme, also wie man Synergien nutzt, zum Beispiel thermische Speicher im Straßenverkehr.

Sie plädieren für eine 100-prozentige Versorgung über dezentrale, erneuerbare Energien.
Das stimmt. Derzeit liegt Anteil der Erneuerbaren bei 28 Prozent. Um die restlichen 72 auch noch zu schaffen, ist es noch ein langer Weg. Aber es ist keine technische Frage mehr. In meinem Studium habe ich noch gelernt, das erneuerbare Energien nie mehr als ein bis zwei Prozent des Energiebedarfs tragen können. Und das die Netze zusammenbrechen würden, wenn man diesen Anteil übersteigt. Aber die Netze sind immer noch nicht zusammengebrochen. Es gibt mittlerweile stapelweise Untersuchungen und Studien, dass die 100 Prozent kein technisches Problem sind. Sie sind vielmehr ein gesellschaftliches Problem. Denn das würde ja bedeuten, dass sämtliche Industrien und Einzelpersonen, die ein riesiges Vermögen über die konventionelle Energiegewinnung aufgebaut haben, ihre Geschäftsgrundlage verlieren würden. Wurden die Erneuerbaren früher belächelt, werden sie heute bekämpft.

Der Energiekonzern E.ON hat angekündigt, zukünftig auf fossile Energien zu verzichten. Was halten Sie davon?
Das wird spannend. Sicher ist das eine klare Aussage, wenn E.ON jetzt seine Energieerzeugung komplett auf erneuerbare Technologien ausrichtet. Das ist schon mal eine Änderung der Denkweise. Die Frage ist, ob dieser Kurs erfolgreich sein wird. Denn im Prinzip brauche ich keinen Konzern, um mir eine Solaranlagen aufs Dach zu setzen. Und vielleicht gibt es bald auch keinen Grund mehr, das Konzerne Solaranlagen, Windparks und Biogasanlagen betreiben – bis auf die Offshore-Windparks, denn die sind zu kapitalintensiv. Warum soll ein Konzern einen Solarpark besser betreiben als es die kleinen, regionalen Betreibergemeinschaften tun? Es wird interessant sein, die Entwicklung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu beobachten.

Interview: Monika Probst

Michael Sterner, Ingo Stadler (2014): Energiespeicher - Bedarf, Technologien, Integration.
Springer Vieweg, ISBN 978-3642373794

Das Buch gibt einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Aspekte der Energiespeicherung, angefangen von ihrer Bedeutung in der Energieversorgung und dem Speicherbedarf in der Strom-, Wärme- und Kraftstoffversorgung im Kontext der Energiewende ein. Die verschiedenen Speichertechnologien werden ausführlich vorgestellt, ihre Vor- und Nachteile diskutiert und Anwendungsbeispiele gezeigt.

Januar 2015

Ein Artikel aus dem Hochschulmagazins Inside out


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