Zweiklang aus Wissenschaft und Praxis
Doktoranden wälzen nur Theorien, packen aber in der Praxis nicht richtig an? Stimmt nicht! Benjamin Treude arbeitet seit zwei Jahren nicht nur an seiner Dissertation, sondern dank dem Tandemprogramm der TH Köln auch an der Schnittstelle zwischen Hochschule und dem Praxispartner STRIKO Verfahrenstechnik GmbH – und hat keine Angst, sich auf der Montage auch mal schmutzig zu machen.
Rohrleitungen, Gasflaschen oder Maschinenanlagen stehen unter Druck. Damit der nicht zu groß oder zu klein wird, baut man Berstscheiben ein – quasi Sollbruchstellen, die kaputtgehen, bevor das System geschädigt wird. Aber auch Faktoren wie Druckstöße oder Temperaturschwankungen können dazu führen, dass die Berstscheibe nicht erst im Störfall, sondern schon vorher aus Ermüdung zerbricht. Die Folge: Die Anlage muss heruntergefahren und die Berstscheibe getauscht werden. Der Stillstand kostet nicht selten mehrere 100.000 Euro.
Hier kommen die STRIKO Verfahrenstechnik GmbH und die TH Köln ins Spiel. Das Unternehmen und die Hochschule arbeiten schon lange zusammen, zum Beispiel in Forschungsprojekten oder im Innovation Hub Bergisches RheinLand. Aus der Verbindung entstand eine Idee: „Wir haben uns gesagt: Lass uns eine intelligente Berstscheibe entwickeln, die selber ihren Ermüdungszustand erkennt, oder ein Modell bauen, mit dem man das vorhersagen kann“, erinnert sich Prof. Dr. Denis Anders vom Institut für Allgemeinen Maschinenbau an der TH Köln. Das hätte gleich zwei Vorteile. „Zum einen wollen wir die Fertigung der Berstscheiben optimieren, damit wir weniger Ressourcen verbrauchen“, sagt Thomas Brück, Geschäftsführer der STRIKO Verfahrenstechnik GmbH. „Zum anderen soll in Zukunft nicht mehr der Kunde allein entscheiden müssen, wann eine Berstscheibe getauscht wird, sondern wir wollen ihn aufgrund unserer Erfahrung und mithilfe von gesammelten Daten bei der Planung unterstützen. Dabei geht es auch um Nachhaltigkeit, damit man nicht unnötig Produkte ausbaut und wegwirft.“
Simulation und Experimente
An der Erreichung dieser Ziele arbeitet Benjamin Treude. „Ich analysiere die Berstscheiben mit Experimenten und durch Computersimulationen, um ihr Verhalten besser zu verstehen“, erklärt er. „Im nächsten Schritt wollen wir mit einem Prüfstand reale Belastungssituationen von Anlagen nachbilden. Idealerweise können wir so einen unnötigen Anlagenstillstand verhindern oder eine Beeinträchtigung der Umwelt vermeiden. Es liegt in der Verantwortung der Sicherheitstechnik, nicht nur technische Produkte zu schützen, sondern auch Lebewesen, die sich in der Umgebung von Anlagen aufhalten.“ In diesem anspruchsvollen Aufgabengebiet müssen Theorie und Praxis ineinandergreifen – und dafür hat Benjamin Treude beste Voraussetzungen.
„Benjamin ist fachlich super qualifiziert, bringt aber auch eine jahrelange berufspraktische Erfahrung mit“, so Denis Anders. Nach einer Ausbildung zum Maschinenschlosser holte Treude an der Abendschule das Abitur nach, studierte Maschinenbau und arbeitete dann in der Entwicklungsabteilung eines international tätigen Unternehmens im Bereich Hütten- und Walzwerkstechnik. Aber der Wunsch, sich noch einmal intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen, ließ ihn nicht los. „Ich war fast fünf Jahre im Beruf, als ich mich zur Promotion entschieden habe“, erzählt Benjamin Treude. „Spannend fand ich diesen Zweiklang aus wissenschaftlicher Tätigkeit an der Hochschule und Praxisbezug in einem mittelständischen Unternehmen, wo man die Dinge, die man untersucht, in der Praxis testen kann.“ Möglich macht es das Tandemprogramm. Es qualifiziert Wissenschaftler*innen früher Karrierestufen akademisch und berufspraktisch. Teilnehmer*innen sind sowohl bei einem außerhochschulischen Partner als auch an der TH Köln angestellt.
Das Konzept geht für Benjamin Treude voll auf; die unterschiedlichen Aspekte seiner Arbeit greifen gut ineinander. Seine Erfahrung mit technischen Produkten fließt in seine Lehrveranstaltungen an der TH Köln ein. Beobachtungen von der Baustelle nutzt er, um seine Modelle weiterzuentwickeln. Zudem kann er seine Simulationen sofort auf den Berstprüfständen in der Fertigungswerkstatt überprüfen lassen. Möglich ist das auch durch das gute Verhältnis der beiden Arbeitgeber und die daraus resultierende Flexibilität. „Wir erproben neue Wege der Arbeitsverteilung“, erklärt Thomas Brück. „So ist es auch mal möglich, dass Benjamin ein paar Wochen am Stück bei uns ist und dafür im Anschluss ein paar Wochen an der TH Köln.“ Das bestätigt Benjamin Treude: „Meine Arbeitgeber nehmen beide Rücksicht, besonders in intensiven Phasen. Trotzdem muss man sich damit anfreunden, dass man zwei halbe Stellen hat und nicht zwei ganze. Ich bin von Natur aus sehr detailverliebt und musste deshalb auch mit mir selbst die Vereinbarung treffen, ab und zu mal Fünfe gerade sein zu lassen.“
Gemeinsam an einem Strang ziehen
Nichtsdestotrotz strahlen die positiven Effekte auf das gesamte Unternehmen sowie die Hochschule ab. Beispielsweise hat Benjamin Treude für seine Kolleg*innen eine Lehrveranstaltung im Bereich Werkstofftechnik konzipiert, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch zur Anwendung anleitet. Dass sich davon niemand auf die Füße getreten fühlte, liegt laut Thomas Brück an der Persönlichkeit von Benjamin Treude: „Die Mitarbeitenden haben gemerkt, dass er echtes Interesse an ihrer Arbeit und unseren Produkten hat. Deshalb wollen sie ihn unterstützen, stehen dafür auch mal nachmittags länger in der Fertigung und sagen: ‚Ich muss diese Berstscheibenserie noch für Benjamin vorbereiten.‘ Die brennen richtig dafür, die Möglichkeiten der Technik und der Wissenschaft zu nutzen, um uns weiterzuentwickeln.“
Über das Personalgewinnungskonzept „PLan_CV“
Das Tandemprogramm ist ein Baustein des Projekts PLan_CV („Professur-Laufbahn an Hochschulen für angewandte Wissenschaften neu denken: Collaboration und Vernetzung“). Es soll exzellentes Personal für Professuren an der TH Köln gewinnen und eine bessere Durchlässigkeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft erreichen. Das Projekt wird im Rahmen des Programms zur Förderung der Gewinnung und Qualifizierung professoralen Personals an Fachhochschulen mit 12,4 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Juni 2024