Wie wahrscheinlich ist ein Blackout in Deutschland?

Mit Blick auf die Energiekrise hat auch die Sorge vor einem Blackout in Deutschland zugenommen. Doch wie wahrscheinlich ist dieses Szenario überhaupt? Prof. Dr. Ingo Stadler vom Cologne Institute for Renewable Energy (CIRE) spricht im Interview über flächendeckende Stromausfälle, Sicherheit und den Einfluss der Umstellung auf erneuerbare Energien auf das Stromnetz.

Porträt Ingo Stadler Prof. Dr. Ingo Stadler (Bild: privat)

Prof. Stadler, was ist der Unterschied zwischen einem Stromausfall und einem Blackout?

Stromausfälle wie wir sie hierzulande bisher kennen sind in der Regel lokal begrenzte Ereignisse. Diese können zum Beispiel durch einen Bagger, der ein Stromkabel durchtrennt, oder einen Isolationsfehler in der Trafostation entstehen. So verursachte Ausfälle können einige Minuten bis wenige Stunden andauern. Für den Begriff Blackout gibt es keine eindeutige wissenschaftliche Definition. Allgemein kann man aber sagen, dass damit ein flächendeckender und langanhaltender Stromausfall gemeint ist. Wie groß die betroffene Fläche dabei sein muss – also ob man beispielsweise schon bei einem NRW-weiten oder erst bei einem bundesweiten Stromausfall von einem Blackout spricht – ist allerdings nicht eindeutig bestimmt.

Wie kommt es zu einem Blackout?

Üblicherweise fließt Strom in Europa mit einer Frequenz von 50 Hertz durch die Leitungen. Das Netz gerät aus dem Gleichgewicht, wenn beispielsweise mehr Strom verbraucht als erzeugt wird. Das führt zu einer Frequenzabweichung. Geringfügige Schwankungen sind dabei vollkommen normal und pendeln sich durch bestimmte Sicherheitsmaßnahmen – die Aktivierung der so genannten Regelenergie – schnell wieder ein. Kommt es jedoch zu einer massiveren Störung, kann das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch nicht mehr aufrechterhalten werden und der Strom fällt aus. Ein Beispiel dafür ist Italien im Jahr 2003: Das Land bezog Strom in großen Mengen vor allem aus Frankreich – über Direktleitungen sowie Leitungen durch die Schweiz. 2003 gab es eine Situation mit hohem Import und beim Ausfall von zunächst einer Leitung in der Schweiz verteilte sich diese Importleistung dann auf die übrigen Leitungen, die nach und nach in einem Dominoeffekt wegen Überlast automatisch außer Betrieb genommen wurden. So kam es zu einem mehr als 24 Stunden andauernden Blackout – auch, weil Italien die Stromlast nicht mit eigenen Kraftwerken ausgleichen konnte.

Satellitenbild von Europa bei Nacht mit elektrischer Beleuchtung Mit Blick auf die Energiekrise hat auch die Sorge vor einem Blackout in Deutschland zugenommen. (Bild: scaliger/AdobeStock.com)

Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um so etwas zu verhindern?

Präventiv greift die so genannte Regel der (n-1)-Sicherheit. Diese planerische Maßnahme besagt, dass die Netzsicherheit auch dann gewährleistet bleibt, wenn ein einzelnes Element wie ein Kraftwerk oder eine Leitung – egal welches – ausfällt. Sollte es aufgrund unerwarteter Ereignisse dennoch zu massiven Frequenzstörungen kommen, müssen entweder Kraftwerke hochgefahren oder bestimmte Gebiete kurzzeitig vom Netz getrennt werden, um die Last auszugleichen. Ein Beispiel: 2006 sollte ein Kreuzfahrtschiff die Ems überfahren. Dazu wurde eine große Stromleitung, unter der das Schiff durchfahren sollte, sicherheitshalber abgeschaltet. Dabei hat man sich allerdings verrechnet und wegen einer Überlast kam es zu Leitungsproblemen, die zu Stromausfällen in Deutschland, Italien und Spanien und zu einer Aufspaltung des zusammenhängenden europäischen Netzes in drei Teile führten. Dadurch, dass einzelne Gebiete – auch die Stadt Köln – kurzzeitig vom Strom genommen, in der Zeit Pumpspeicherwerke und andere Kraftwerke hochgefahren wurden, konnten die Schwankungen ausgeglichen und ein Blackout verhindert werden.

Macht die Umstellung auf erneuerbare Energien das Stromnetz sicherer, oder stellt sie ein Risiko dar?

Für das Gesamtsystem ist die Umstellung eher förderlich. Wenn beispielsweise ein großes Kohlekraftwerk ausfällt, dann macht sich das im Netz deutlich bemerkbar. Wenn einzelne Windkraftanlagen ausfallen, spürt man das kaum. Die durchschnittliche Ausfallzeit hat sich in den letzten Jahren auch weiter verringert. Jetzt kann man natürlich sagen: Der Wind weht nicht immer und auch die Sonne scheint nicht ständig. Das sind aber planbare Ereignisse, die im alltäglichen Betrieb einkalkuliert und ausgeglichen werden können – zum Beispiel mit Hilfe von Energiespeichern. Ein Blackout dagegen wird durch ein unvorhergesehenes Ereignis ausgelöst. Zudem erhöhen wir mit erneuerbaren Energien unsere Autarkie und sind weniger abhängig von Importen.

Wie wahrscheinlich ist ein Blackout in Deutschland?

Diese Gefahr bestand grundsätzlich schon immer und wird auch nach der aktuellen Krise bestehen bleiben. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass wir die Situation in Europa bislang sehr gut im Griff hatten. Aktuell benötigen wir für Stabilisierungsmaßnahmen vor allem Gas, weil Erdgaskraftwerke im Falle von Frequenzstörungen schnell hoch- oder runtergefahren werden können. Die Gasspeicher sind derzeit zwar ziemlich voll, dennoch muss diskutiert werden, ob wir das Gas tatsächlich verfeuern, um Wohnungen auf 24 Grad Celsius zu heizen, oder da etwas einsparen wollen. Bei Gasknappheit sind Pumpspeicherwerke gute Alternativen für die Regelung. Kernkraftwerke dagegen sind weniger geeignet, weil sie langsamer hoch- und runterfahren. Deshalb würde ein Weiterlaufen der Kraftwerke auch nicht der Systemstabilität dienen. Noch schneller abrufbar als Erdgaskraftwerke wären Energiespeicher, die mit Strom aus erneuerbaren Energien gespeist werden. Diese Speicher gibt es eigentlich schon heute, zum Beispiel in Photovoltaikanlagen mit Batteriespeichern oder in E-Autos – sie werden allerdings noch nicht genutzt. Darin liegt ein bedeutsames brachliegendes Potenzial.

Oktober 2022

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