Verdrängen öffentlich-rechtliche Medien digitale Bezahlangebote vom Markt?

Welche Auswirkungen hätte eine Abschaltung des Online-Nachrichtenangebots des Österreichischen Rundfunks (ORF) auf die Erlöse inländischer privater Verlage aus kostenpflichtigen digitalen Medieninhalten? Diese Frage war Gegenstand einer Studie, die Prof. Dr. Christian Zabel vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften geleitet hat. Im Interview erläutert er auch die angewandte Methodik.

Herr Prof. Zabel, was haben Sie in der Studie untersucht?

Wir haben die konkurrierenden Web-Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) und von 35 kommerziellen Anbietern wie Zeitungsverlagen, Nachrichtenmagazinen und reinen Online-Nachrichtendiensten untersucht. Auf der einen Seite steht der ORF, der mit der sogenannten „Blauen Seite“ einen kostenfreien Überblick über das nationale und internationale Geschehen ermöglicht. Auf der anderen Seite stehen die privaten Mitbewerber, die immer wieder darauf hinweisen, dass die frei zugänglichen Angebote des ORF es ihnen unmöglich machen, ihre kostenpflichtigen Inhalte über digitale Abonnements zu refinanzieren. Ziel des wissenschaftlichen Gutachtens im Auftrag des ORF war es zu untersuchen, wie sich eine Abschaltung von ORF.at auf den Absatz von digitalen Bezahlinhalten der privaten Anbieter auswirken würde.

Porträtbild von Prof. Dr. Christian Zabel Prof. Dr. Christian Zabel vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften forscht unter anderem zur Digitalisierung von Medienunternehmen. (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

Welche Methodik wurde angewandt?

Wir haben eine Simulation durchgeführt. Im ersten Schritt haben wir 1.100 Nutzer*innen – repräsentativ ausgewählt nach Alter, Geschlecht, Wohnort sowie Ausbildungsniveau – nach ihren Produkt- und Preispräferenzen befragt. Zu diesem Zweck haben wir ein etabliertes Forschungsverfahren genutzt – die Choice-Based Conjoint-Analyse. Dabei werden den Proband*innen verschiedene hypothetische Online-Nachrichtenangebote zur Auswahl vorgeschlagen. Für unsere Erhebung haben wir uns auf fünf Kategorien gestützt, zum Beispiel die Art der Nachrichten oder die Form des Nachrichtenzugangs, etwa durch einen werbefreien vollen Zugriff, oder die Zahlungsbereitschaft für diese Angebote. Anhand der Antworten konnten wir computergestützt die Präferenzmarktanteile berechnen. Anschließend wurde analysiert, wie sich die Auswahlentscheidung durch einen hypothetischen Marktaustritt von ORF.at verändern und wie sich die Nachfrage auf andere Anbieter verlagern würde.

Wie lauten die wesentlichen Ergebnisse?

Unsere Studie widerspricht der aufgeführten Annahme. Selbst bei einer vollständigen Aussetzung der „Blauen Seite“ würden lediglich sieben Prozent ihrer User*innen zu einem kostenpflichtigen Online-Angebot der Verlage wechseln. Dies widerlegt die sogenannte Crowding-out-Hypothese, wonach die Beliebtheit der „Blauen Seite“ die Zahlungsbereitschaft für die Online-Nachrichten der privaten Konkurrenz senke und diese dadurch verdränge. Der Grund: Wenig überraschend ist der Preis das mit Abstand wichtigste Entscheidungskriterium. Es folgt der Umfang des Zugriffs auf Inhalte, wobei der kostenfreie, werbefinanzierte Vollzugang zu Nachrichten den höchsten Wert in dieser Kategorie aufweist. Bestimmte Zusatzinhalte wie Wetter, Entertainment-News oder Sportberichterstattung wurden von den Befragten als relevantestes inhaltliches Unterscheidungsmerkmal wahrgenommen – allerdings weit abgeschlagen hinter dem Preis.

Des Weiteren zeigt unsere Analyse, dass vor allem Digital-Angebote, etwa von großen internationalen Plattformanbietern wie Google oder Meta, sowie kostenfreie Newsdienste profitieren würden. Dafür würde mit dem ÖRR jene Informationsquelle wegfallen, der von den Bürger*innen mit die höchste Glaubwürdigkeit zugesprochen wird.

Sind die Ergebnisse auf den deutschen Markt übertragbar?

In der Tendenz würde ich bei einem hypothetischen Marktaustritt der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenangebote von ARD und ZDF ähnliche Ergebnisse wie in Österreich erwarten. So ist aus Umfragen und Studien bekannt, dass der Preis auch bei deutschen Nutzer*innen das zentrale Entscheidungsmerkmal darstellt. Allerdings könnten die Ergebnisse im Detail durchaus abweichen: So sind werbefinanzierte Nachrichtenangebote in Österreich deutlich stärker als in Deutschland. Die Verlagsangebote hierzulande verfolgen eher die Strategie, User*innen von digitalen Abonnements zu überzeugen und den freien Online-Zugriff einzuschränken.

Und wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus?

Es lässt sich kein signifikant negativer Zusammenhang zwischen der Stärke öffentlich-rechtlicher Nachrichtenangebote und den Online-Markterlösen privater Anbieter feststellen. In den skandinavischen Ländern ist ein vergleichsweise hoher Anteil an Bezahlinhalten bei gleichzeitig hoher Nutzung des ÖRR zu beobachten. In Südeuropa ist eher das Gegenteil der Fall. Kulturelle Unterschiede und ein unterschiedlich ausgeprägtes Vertrauen in die Medien können dafür verantwortlich sein.

Über die Studie

Die Studie „Effekte des Marktaustritts von öffentlich-rechtlichen Online-Nachrichtengeboten auf den Absatz von digitalem Paid Content: Eine Simulation für den österreichischen Markt“ wurde von Prof. Dr. Christian Zabel und Daniel O'Brien vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften sowie von Prof. Dr. Frank Lobigs von der TU Dortmund durchgeführt. Die vom ORF in Auftrag gegebene Studie kann hier kostenfrei heruntergeladen werden.

Januar 2024

Ein Beitrag von

Daniel Schäfer

  • Telefon+49 221-8275-5465


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