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Christian Sander

Christian Sander

Team Presse und Öffentlichkeitsarbeit

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Verabredungen im Raum

Porträtfoto Simone Scharbert (Bild: TH Köln / Annalisa Schradin)

Die TH Köln widmet sich mit einem innovativen Ansatz der inklusiven Quartiersentwicklung: Über eine fünfjährige Projektlaufzeit wird neben einer fest besetzten Stiftungsprofessur jährlich ein Stiftungsfellowship vergeben, das immer wieder neue Impulse setzen soll. Mit Simone Scharbert ist die erste Inhaberin des Fellowship gestartet. Die promovierte Autorin steht für einen literarischen Ansatz.

Literatur, Inklusion und Quartier – drei Themen, deren Zusammenhang sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Mit welcher Idee gehen Sie in Ihr Fellowship?

Tatsächlich ist das Thema Inklusion in der Literatur noch nicht so weit verbreitet. Neuere Texte wie etwa die unlängst ausgezeichneten Romane „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ von Martina Hefter oder „Quallen haben keine Ohren“ von Adèle Rosenfeld, aber auch „Warten auf einen Fluss“ von Barbara Köhler haben neue Perspektiven aufgezeigt, literarische Narrative um Fragen eines inklusiven Verständnisses zu erweitern. Diese Bücher werden sicher Impulse für meine Arbeit mit den Studierenden liefern.

Grundlage des Fellowships wird aber der Begriff des Raums sein. Dieser ist für mich in all seinen Dimensionen so vielschichtig und so facettenreich wie kaum ein anderer Begriff. Er ist mit vielen unterschiedlichen Zuschreibungen aufgeladen und lässt sich ganz wunderbar mit verschiedenen Disziplinen verbinden.

Ebenfalls eine große Rolle spielt der Begriff der „Gastfreundschaft“ im Sinne von Jacques Derridas, der in seinem Denken ein kompromissloses Verständnis des Begriffs und unter anderem den Abbau jeglicher Schwellen thematisiert, angefangen bei der Sprache bis hin zur realen Schwelle einer einzelnen Tür. Hier schließt sich dann der Kreis zu Fragen einer inklusiven Quartiersentwicklung: Wie tragen wir zu möglichst viel Offenheit und zu einem partizipativen, einladenden Raumverständnis bei und was kann die literatur(wissenschaftliche) Perspektive dazu beisteuern oder sichtbar machen?

Wie werden Sie diese Idee konkret umsetzen?

Innerhalb eines Jahres möchte ich mit den Studierenden der Bachelorstudiengänge Architektur, Soziale Arbeit sowie Kindheitspädagogik und Familienbildung vier Projekte realisieren, die derzeit unter dem Arbeitstitel „Verabredungen“ laufen. Dabei soll es sich um jeweils eigenständige Arbeiten handeln, die digital, vor Ort im Veedel oder zu literarischen Impulsen ausgearbeitet werden können. Sie sollen auch im Dialog mit dem Publikum verschiedene Begriffe und Schlagwörter der inklusiven Quartiersentwicklungen sichtbar und diskutierbar machen – von der Werkstatt:Pause über Seminare bis hin zu Literaturformaten. Verabredung meint dabei zwei Dinge: Zum einen die Möglichkeit der Interaktion und des disziplinübergreifenden sozialen Miteinanders und zum anderen bereits bestehende Konventionen oder Übereinkünfte, die konkret weitergedacht werden sollen.

Dabei kann es um Verabredungen innerhalb der Sprache einer Disziplin gehen und deren Übersetzung in andere Fächer – wie lässt sich etwa der Begriff des „sozialen Raumes“ sowohl aus sowialwissenschaftlicher als auch architektonischen Perspektiven andenken? Oder wir untersuchen, wie Räume in der Literatur beschrieben werden, um Protagonist*innen zu beheimaten oder zu exkludieren. Und was wir daraus für den öffentlichen Raum lernen können, der für manche Menschen einladend, für andere schwer zugänglich ist

Was möchten Sie am Ende Ihres Fellowships idealerweise erreicht haben?

Mein Wunsch ist, dass wir das Konzept der Inklusiven Quartiersentwicklung gut mit der Literatur verbinden können. Ich hoffe, dass Literatur eine Brücke sein kann, um Disziplinen wie die Architektur und Sozialwissenschaften in Interaktion zu bringen und Resonanzräume zu erzeugen. Gerade dann, wenn man Architektur auch als ein „Medium sozialer Prozesse versteht“. Literarische Werke können dabei Impulsgeber sein und auch Anknüpfungspunkte an das politische und gesellschaftliche Geschehen bieten. So gewinnt etwa der angesprochene Begriff einer kompromisslosen Gastfreundschaft angesichts der aktuellen Migrationsdebatte ein ganz anderes Gewicht. Vor allem wünsche ich mir, dass die Interaktion mit den Studierenden auf gute Resonanz stößt und angenommen wird und wir dem Begriff „inklusive Quartiersentwicklung“ gemeinsam erste Ideen und Sichtweisen mit auf den Weg geben können. Ganz im Sinne von Derridas Motto: „Ein Akt der Gastfreundschaft kann nur poetisch sein.“

Über das Projekt

Die Stiftungsprofessur und das Stiftungsfellowship zur inklusiven Quartiersentwicklung sind an der TH Köln an den Fakultäten für Angewandte Sozialwissenschaften sowie für Architektur verankert und sollen dort auch nach Ablauf der Förderung bestehen bleiben. Sie werden Lehrveranstaltungen für Studierende beider Fakultäten durchführen und damit auch die Studiengangs- und Curriculumsentwicklung in Bezug auf den neuen interdisziplinären Schwerpunkt prägen. Die Stiftungsprofessur soll im Herbst 2025 besetzt werden. Gefördert wird das Vorhaben von der Marga und Walter Boll-Stiftung, der RheinEnergieStiftung Jugend/Beruf, Wissenschaft und der Kämpgen-Stiftung.

Simone Scharbert hat Politikwissenschaft, Philosophie und Literatur in München, Augsburg und Wien studiert. Sie promovierte in Politikwissenschaft an der Universität Augsburg über Möglichkeiten regionaler Kooperation vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung. Die freie Autorin und Dozentin verantwortet die Kulturelle Bildung der VHS Erftstadt und ist Lehrbeauftragte an der Universität zu Köln sowie an der TH Köln. Für ihre literarische Arbeit wurde sie unter anderem mit dem Gisela-Scherer-Stipendium des Hausacher LeseLenz, dem Jahresstipendium der Kunststiftung NRW, dem Arbeitsstipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW und dem Anerkennungspreis von PEN Deutschland der Akademie für gesprochenes Wort ausgezeichnet.

April 2025

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Christian Sander

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