Veedel ohne Jeföhl? Kooperatives Forschungsprojekt „Stadtraumforschung im Domumfeld“
Eine qualitative Untersuchung der Nutzer*innen des Kölner Dom- und Rathausumfelds. Ausgangspunkt der Untersuchung waren das Verhältnis und die Wahrnehmung des Raums um den Kölner Dom und das Kölner Rathaus aus der Sicht der Nutzer*innen.
Zum Download der Stadt Köln
Zu den Qualitäten der Domumgebung und Altstadt zählen die Atmosphäre, die historische Bedeutung, die einzigartige Architektur und das Stadtbild, das Veranstaltungsangebot, die touristische Attraktivität, die Vielfalt der gewerblichen Nutzungen, die hohe Konzentration kultureller Angebote, die Rhein- nähe, die Zentralität und hervorragende Verkehrsanbindung sowie die hohe soziale Durchmischung der Nutzer*innen und die Beziehungen der Bewohner*innen und Geschäftsinhaber*innen. Im Gruppenvergleich werden die Qualitäten unterschiedlich stark thematisiert. Während die Wohnbevölkerung die Zentralität, die sozialen Beziehungen und die soziale Heterogenität der Nutzer*innen hervorhebt, ist für Erwerbstätige mit Laufkundschaft die Atmosphäre, das Veranstaltungsangebot und der Tourismus wichtig. Die Tourist*innen wiederum heben die Architektur, das Stadtbild und das Gewerbe hervor.
Über alle Gruppen hinweg findet die Vielfalt der gewerblichen Angebote einen positiven Anklang, erfährt jedoch unterschiedliche Funktions- und Bedeutungszuschreibungen. Bewohner*innen schätzen vor allem die unmittelbare Nähe zu Infrastrukturen des täglichen Bedarfs, die kleineren, inhabergeführten Geschäfte, deren für das Gemeinschaftsgefühl und Sicherheitsempfinden förderlichen Funktionen. Schwer wiegt dabei der Verlust alteingesessener Geschäfte, denen gruppenübergreifend ein wichtiger Beitrag zu einem ausgewogenen Miteinander, der Identifikation mit dem Viertel und einem „Veedelsgefühl“ zugeschrieben wird. Der Verlust dieser Geschäfte verringert die Möglichkeiten der Bewohner*innen und Angestellten, sich einander zu begegnen, Nachbarschaftsbeziehungen aufzubauen und sich mit dem Gebiet zu identifizieren.
Das kommunale Handeln wird von den Befragten fragmentiert wahrgenommen. Physisch präsente und direkt ansprechbare Akteure, wie Polizei, Ordnungsamt und die Abfallwirtschaftsbetriebe, erzeugen eine positive Resonanz. Andere Akteure der Stadtverwaltung, die für direkte Ansprachen seltener oder gar nicht zur Verfügung stehen, werden abstrakter und distanzierter als „die Stadt“ bezeichnet. Das verweist darauf, dass die komplexe Struktur an Zuständigkeiten, Ämtern und Dezernaten innerhalb einer Stadtverwaltung von Außenstehenden oftmals nicht als solche wahrgenommen wird, für die Befragten allerdings auch wenig Relevanz besitzt. Viele einzelne bauliche Maßnahmen, wie die Verbesserung der Unterführungsbeleuchtung und die Parkraumgestaltung, werden affirmativ zur Kenntnis genommen. Das Fehlen eines Gesamtkonzepts und die mangelnde Beteiligung der verschiedenen Nutzer*innengruppen an dem Gestaltungsprozess erzeugen eine zunehmende Distanz zur Kommunalverwaltung.
Die Auswirkungen der Pandemie und der Maßnahmen zum Infektionsschutz hatten erhebliche Auswirkungen auf die Situation im Untersuchungsgebiet. Die Erhebung fand von Anfang Dezember 2020 bis Ende Januar 2021 statt und unterlag somit den Bedingungen der zweiten Welle der Pandemie sowie den im Dezember 2020 verabschiedeten Maßnahmen zum Infektionsschutz (u.a. Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Geschäftsschließungen, Home-Office, Distanzunterricht in allen Bildungseinrichtungen). In der Domumgebung und der Altstadt führt das nach Angaben der Befragten zu einem er-heblichen Rückgang der allgemeinen Frequentierung des Gebiets, einer Verminderung von Lärmbelastung, Verschmutzung, Konflikten und Kriminalität im öffentlichen Raum. Für ältere Befragte mit hoher Wohndauer gehen die Veränderungen mit einer gesteigerten Wohnzufriedenheit einher, wohingegen jüngere Neuzugezogene die Situation eher gemischt beurteilen. Einige Befragte äußern ein höheres Unsicherheitsempfinden, weil das Gebiet verlassen wirke und die Geschäfte geschlossen sind. Die Sichtbarkeit von Obdachlosen und Ordnungskräften hätte zugenommen.
Zweifelsohne liegen die Potenziale der Innenstädte in ihrer Zentralität, Nutzungsmischung und den Begegnungsmöglichkeiten. Aufgrund der hohen Angebotsvielfalt weisen sie auch die höchste Vielfalt an Bevölkerungsgruppen auf. Wie kaum ein anderes städtisches Teilgebiet ermöglichen sie dadurch die Begegnung von Personen mit unterschiedlichen sozialen, kulturellen, ethnischen und religiösen Hintergründen, von Besucher*innen und Bewohner*innen sowie von Alteingesessenen und Neuzugezogenen. Hier wird die pluralisierte Gesellschaft erfahrbar. Die Pandemie wiederum zeigt, welche Auswirkungen ein vorübergehendes oder dauerhaftes Wegbrechen einzelner Nutzungen auf die Begegnungs- und Integrationspotenziale der Innenstadt hat. Zukünftige Planungen können ebendiese Erfahrungen nutzen, um Partizipation, Toleranz und wechselseitige Akzeptanz als Bausteine einer demokratischen und sozial-integrativen Stadtentwicklung zu fördern.
Dezember 2022