Tag der Kinderbetreuung

Prof. Dr. Marc Schulz (Bild: Heike Fischer/TH Köln)

Am 10. Mai ist Tag der Kinderbetreuung. Der Aktionstag soll die Leistung der Kindertageseinrichtungen in das öffentliche Bewusstsein bringen. Prof. Dr. Marc Schulz, Leiter des Instituts für Kindheit, Jugend, Familien und Erwachsene (KJFE), spricht im Interview über die Entwicklungen und die Herausforderungen des Berufsfeldes.

Wie hat sich die Nutzung von Kinderbetreuung in den vergangenen Jahren verändert?

Deutschlandweit befindet sich fast jedes Kind zwischen drei und sechs Jahren in der öffentlichen Kleinkindbetreuung. Seit inzwischen zehn Jahren liegt die Besuchsquote konstant deutlich über 90 Prozent, in den neuen Bundesländern um die 95 Prozent. Wenn wir historisch zurückblicken, bedeutet das für die alte Bundesrepublik ein deutlicher Anstieg an öffentlicher Betreuung. Bei den neuen Bundesländern wiederrum ist das eigentlich eine Rückkehr auf die Betreuungsquote, die in der DDR damals üblich war. Eine große Lücke gibt es im Bereich der unter Dreijährigen – da sind die Anfragen deutlich höher als die Erfüllungsquoten seitens der Kommunen, die derzeit bundesweit bei 35 Prozent liegt. Allerdings liegt auch hier die Quote in den neuen Bundesländern deutlich höher.

Wer arbeitet in Kindertageseinrichtungen?

Die öffentliche Kinderbetreuung zeichnet sich dadurch aus, dass im Zuge des quantitativen Ausbaus in den letzten 20 Jahren neben Erzieher*innen auch Heil- und Sozialpädagog*innen, Sozialarbeiter*innen, Kindheitspädagog*innen oder Therapeut*innen in diesem Berufsfeld arbeiten. Diese Fachkräfte qualifizieren sich über Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten. Die Quote der Akademiker*innen in der Kinderbetreuung ist jedoch – insbesondere im europäischen Vergleich – relativ gering, um die fünf Prozent.

Welche Konsequenzen hat die zunehmende Nutzung öffentlicher Kinderbetreuung?

Wir haben teils erheblichen Mangel an fachlich geeignetem Personal, die Qualifizierung entsprechender Personen kann derzeit diese Lücken nicht schließen. Die Betreuungszeiten müssen teilweise reduziert werden, was wir jetzt in der pandemischen Situation beobachtet haben. Das ist natürlich eine Dynamik, die Konsequenzen für das ganze Berufsfeld hat. Zudem arbeiten Kindertageseinrichtungen unter der Trias von Erziehung, Betreuung und Bildung, dies macht das Arbeitsfeld sehr anspruchsvoll, insbesondere unter der politischen Erwartung, dass in der Kita Anschlüsse zur schulischen Bildung geschaffen werden sollen.

Welche Stellung haben die Fachkräfte in unserer Gesellschaft?

Der Betreuungssektor ist nach wie vor eine klassische Frauendomäne. Das fing schon im 19. Jahrhundert, unter anderem mit der Idee von geistiger Mütterlichkeit und der Professionalisierung weiblicher Eigenschaften an. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sogenannte Frauenberufe in einer patriarchalen Gesellschaft schlechter bezahlt werden. Es gibt keinen einzigen Beruf, der mehrheitlich von Frauen ausgeübt wird, der im Gesamtvergleich gut bezahlt ist. Davon ist die Stellung von Fachkräften in der Kinderbetreuung innerhalb unserer Gesellschaft geprägt. Denn die Bezahlung bedeutet auch Anerkennung und zeigt, wer in unserer Gesellschaft im Zentrum steht und wer – auch durch Bezahlung – eher am Rand steht.

Was steckt hinter der mangelnden Wertschätzung für diese Arbeit?

Ich denke, es steht immer noch die Vorstellung im Raum, dass es sich um eine Arbeit handelt, die im Grunde genommen jeder könnte, zum Beispiel, dass man andere Menschen beaufsichtigt, wäscht und füttert, und es insbesondere Frauen angeboren sein muss, sich gut um andere Menschen zu kümmern. Diese Abwertungen von Sorgearbeit führt zur Annahme, dass auch die Berufsausbildung qualitativ nicht anspruchsvoll ist und deshalb auch finanziell nicht sonderlich gut entlohnt werden müsste. Solange das der gesellschaftlich anerkannte Konsens gegenüber dem gesamten Berufsfeld der sozialen Dienstleistungen ist, wird es keine breite gesellschaftliche Wertschätzung geben.

Welche Probleme in der Kinderbetreuung wurden durch Corona verdeutlicht?

Es hat sich gezeigt, was für eine zentrale alltägliche Funktion Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege für die Kinder, aber auch für deren Familien haben. Das bezieht sich auf die Essensversorgung, soziale Kontakte unter den Kindern und die Beratung der Eltern in Erziehungsfragen. Wir haben gesehen, dass Kinderbetreuung nicht nur Orte der Betreuung, sondern Orte für frühkindliche Bildung sind und Gleichaltrigenkontakte ermöglicht. Ich hoffe, dass das tatsächlich auf einer politischen Ebene nachhallt.

Mai 2021

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