Statistik statt Schraubenzieher
Wofür man früher die Leistung ganzer Großrechner brauchte, reicht heute schon ein Notebook aus. Das gilt auch bei der Verbesserung von industriellen Produktionsabläufen. Möglich machen das mathematische und statistische Verfahren. Am Campus Gummersbach entwickelt Professor Thomas Bartz-Beielstein neue Methoden für statistische Analysen. Jetzt hat er eine Firmenausgründunung gestartet.
Eigentlich ist es ganz einfach.
Für jeden Industrieprozess braucht man eine Maschine. Und die muss eingestellt werden. Dafür gibt es Stellschrauben, ob im Wort- oder im übertragenen Sinn. Für Temperatur, Druck, die Zufuhr von Luft, Flüssigkeiten und noch vieles mehr. Mit Hilfe von Erfahrung lassen sich diese Maschinen ganz gut einstellen. Aber eben nur ganz gut.
Statistische Analysen verhelfen zu mehr Präzision, zu mehr Zuverlässigkeit. Nur: Früher brauchte man für die dabei üblichen aufwendigen Verfahren ganze Großrechenzentren. "Wenn man diese Verfahren klug optimiert, reicht aber schon ein gutes Notebook", sagt Prof. Thomas Bartz-Beielstein. Er lehrt seit 2006 angewandte Mathematik auf dem Campus Gummersbach der Fachhochschule Köln und hat mit SPOTSeven eine interdisziplinäre Forschungsgruppe mit Informatikern, Mathematikern und Elektrotechnikern aufgebaut. Sie widmen sich diesem einen Ziel: Die Modelle für die statistische Analyse so weiterzuentwickeln, dass sie auf einer relativ kleinen Datenbasis schon sichere Ergebnisse liefert – vergleichbar mit der Demoskopie, die auch nur 1.000 von 80 Millionen Deutschen die Sonntagsfrage stellt.
Aufbauend auf der Arbeit in SPOTSeven hat Bartz-Beielstein im März zusammen mit seiner Frau Eva Bartz, einer Juristin, die Bartz & Bartz GmbH gegründet.
Das Unternehmen soll Kunden aus der Industrie mit passgenauen Modellen versorgen, die die besagten Stellschrauben optimal einzustellen helfen. Wie das konkret aussieht, zeigt ein Verfahren, das noch in der Hochschul-Arbeitsgruppe entstand: Ein Automobilzulieferer hatte das so schlichte wie prekäre Problem, dass seine Dichtungen für Steckverbindungen von Benzinschläuchen nicht dicht waren. Mithilfe der Simulationen von SPOTSeven konnten die entscheidenden Parameter gefunden werden: Druck und Temperatur an der Maschine. Nachdem sie optimiert wurden, halten die Dichtungen nun, was ihr Name verspricht.
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Das Geheimnis heißt "Sequentielle Parameteroptimierung".
Die Methode hat Bartz-Beielstein selbst entwickelt. Sie basiert auf dem Prinzip, dass die Zahl der untersuchten Parameter, die für die Optimierung des Prozesses eine Rolle spielen könnten, im ersten Schritt massiv reduziert und nötigenfalls erst später gesteigert wird. Es wird also, um im Bild zu bleiben, nicht an jeder Schraube gedreht, sondern nur an ausgewählten. Das entspricht im Grunde dem Verfahren einer systematischen Goldsuche: Man siebt nicht jeden Brocken Erde durch, sondern nur einzelne, die in größeren Abständen liegen. Zeigen sich die gewünschten Körnchen, wird um diesen Bereich herum intensiver gesucht.
Mit dem Notebook auf systematischer Goldsuche
Und so, wie die Goldsucher weniger Personal und Maschinen brauchen, benötigt die Suche nach der perfekten Maschineneinstellung viel weniger Rechenleistung. Auf diese Weise ermitteln die Forscher beispielsweise auch die optimalen Betriebsbedingungen für Kohlekraftwerke. Im Auftrag der in Gummersbach benachbarten Steinmüller Engineering GmbH soll so der bestmögliche Kompromiss aus wirtschaftlicher Effizienz und Emissionsreduktion gefunden werden.
Die Anwendungsmöglichkeiten gehen aber noch über die Prozessoptimierung hinaus. So kann etwa auch die Haltbarkeit von Materialien berechnet werden, für die es nicht schon über Jahrzehnte angesammeltes Erfahrungswissen gibt. Martin Zaefferer, Doktorand in Informatik und einer von derzeit drei Honorarkräften bei Bartz & Bartz, nennt ein Beispiel: "Carbonfaser wird immer häufiger als leichtes und extrem stabiles Baumaterial eingesetzt, zum Beispiel in Flugzeugen. Es gibt aber kaum Wissen darüber, wie lange diese Bauteile im Betrieb halten." Mithilfe der optimierten mathematischen Modelle lasse sich der Verschleiß mit vergleichsweise geringem Aufwand berechnen, und das könne für die Industrie einen erheblichen Gewinn bringen, sagt Zaefferer. Denn wenn man die Haltbarkeit genau kenne, könnten Sicherheitsmargen etwa bei der Materialmasse reduziert werden. Ergebnis: Weniger Kosten, weniger Gewicht. Und das bedeutet beispielsweise bei Flugzeugen geringeren Energieverbrauch, mithin Ressourcen- und Umweltschonung.
Die Bartz & Bartz GmbH ist erst seit wenigen Monaten am Start, hat aber schon großes Interesse bei der Industrie gefunden. Das Unternehmen ist für Professor Bartz-Beielstein indes nicht nur ein vielversprechendes Start-up, sondern auch eine Chance, für das Studium an der Fachhochschule zu werben. "Solche Arbeitsmöglichkeiten wecken Begeisterung für ein Ingenieurstudium", sagt er.
Während des Studiums bietet eine Mitarbeit im Unternehmen direkten Bezug zur Praxis, zu Wirtschaft und Industrie. Außerdem könnten so in Zukunft die besten Nachwuchswissenschaftler auch nach dem Studium an die Fachhochschule Köln gebunden werden, hofft der Mathematiker. Das scheint sich schon jetzt zu bestätigen. Zaefferer und sein Kollege Jörg Stork, ebenfalls Doktorand in Informatik, waren beim Studienabschluss jeweils die Besten ihres Jahrgangs.
Text: Werner Grosch
Oktober 2014