Saloua Mohammed erhält Auszeichnung für herausragendes zivilgesellschaftliches Engagement

Saloua Mohammed, Alumna und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, wurde am Tag des Grundgesetzes von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Botschafterin für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet. Im Interview spricht sie über ihr Engagement, aktuelle Herausforderungen der Sozialen Arbeit und die Verbindung von Theorie und Praxis.

Porträtfoto von Saloua Mohammed Saloua Mohammed, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, wurde als Botschafterin für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet. (Bild: bpb)

Frau Mohammed, Sie haben die Auszeichnung für Ihren ehrenamtlichen Einsatz im Bonner Stadtteil Tannenbusch erhalten. Was machen Sie dort?

Als ehrenamtliche Streetworkerin in Bonn-Tannenbusch berate ich Jugendliche und Familien, die von Rassismus, Diskriminierung, sexualisierter Gewalt sowie direkt oder indirekt von extremistischen Tendenzen betroffen sind und Unterstützung beim Ausstieg aus der Szene benötigen. Tannenbusch ist aus den Medien vor allem im Zusammenhang mit Salafismus bekannt. Dieser stellt definitiv ein Problem dar, die Rekrutierungsversuche haben zuletzt wieder deutlich zugenommen. Aber leider wurde der Stadtteil durch die Debatten über die salafistische Szene immer wieder als Brennpunkt, Problemviertel oder sogar No-Go-Area gelabelt. Das wird aber den Menschen, die dort leben und nichts mit Salafismus zu tun haben, nicht gerecht und hat für sie Konsequenzen im Alltag: Schwierigkeiten bei der Jobsuche aufgrund des Namens und des Wohnorts in Tannenbusch, rassistische oder diskriminierende Äußerungen in der Schule und andernorts, oder Racial Profiling. Und auf der anderen Seite steht dann wieder die salafistische Szene, die gerade jungen Menschen einfache Lösungen für diese und andere Probleme bietet.

Wie können Sie als Sozialarbeiterin hier unterstützen?

In erster Linie versuche ich, bedarfs- und bedürfnisorientiert zu arbeiten. Das heißt, ich sehe die Menschen, mit denen ich spreche, als Expert*innen ihres Alltags und ihrer Lebenswirklichkeit an und entwickle gemeinsam mit ihnen mögliche Lösungen – statt sie ihnen einfach vorzugeben oder sogar aufzuzwängen. Zudem ist es wichtig, zu sensibilisieren. Hier gilt es, Behörden wie die Polizei und andere Akteur*innen abzuholen, ins Gespräch zu kommen, Verständnis für Rassismus und Diskriminierung zu schaffen und so ein vertrauensvolles Klima sowie Solidarität zu erzeugen – damit ist schon vielen geholfen. Bei Menschen, die von extremistischen Tendenzen betroffen sind, muss die kritische Reflexion angeregt werden und es müssen vor allem Gegenangebote geschaffen werden. Das bedeutet für mich: Präsenz zeigen und sich kümmern.

In Ihrer kooperativen Promotion an der Universität zu Köln und der TH Köln beschäftigen Sie sich mit dem Einfluss von Ungleichwertigkeitsideologien auf die Soziale Arbeit. Was bedeutet das?

Ungleichwertigkeitsideologien sind alle möglichen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus oder Islamophobie. Menschen dieser Überzeugung sind der Ansicht, dass bestimmte Gruppen aufgrund bestimmter Merkmale ungleichwertig sind. In meiner Promotion geht es darum, welche Anforderungen und Verpflichtungen sich der Sozialen Arbeit in Bezug auf solche Ideologien stellen und wie sie eine Haltung entwickeln kann, die solchen Denkweisen kritisch gegenübersteht.

Was muss sich innerhalb der Sozialen Arbeit tun, um solchen Ideologien besser zu begegnen?

Soziale Arbeit ist in ihrem Handeln stark von dem politisch gesetzten Möglichkeitsrahmen abhängig. Dabei hat sie eine enorme Bedeutung für die Begleitung und Gestaltung von sozialen und gesellschaftlichen Prozessen, insbesondere mit Blick auf marginalisierte Personen und die Förderung von Teilhabe. Deshalb halte ich es für wichtig, dass sich auch Soziale Arbeit politisch einmischt und ihre Expertise in die Politik sichtbar einbringt. Um Ungleichwertigkeitsideologien zu begegnen, braucht es kritisch reflektierende Sozialarbeiter*innen, die ihr Handeln und ihre Aufgaben politisch sehen und auch macht- und herrschaftskritisch agieren. Das bedeutet zum Beispiel, unangekündigte Zimmerkontrollen in Geflüchtetenunterkünften nicht einfach zuzulassen oder sogar durchzuführen, weil sie beauftragt wurden, sondern diese zu verweigern, weil sie eine Menschenrechtsverletzung darstellen und verboten sind. Dieser Verantwortung mit Blick auf Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte müssen sich Sozialarbeiter*innen bewusst sein.

Wie wichtig ist die Verbindung von Praxis und Theorie für Sie?

Für mich persönlich ist sie unabdingbar. Theorie, Praxis und Forschung müssen immer zusammengedacht werden, weil nur so wirklich bedarfs- und bedürfnisorientiert gearbeitet werden kann. Ein schönes Beispiel dafür ist das Projekt „Professionalisierung und Akademisierung der Sozialen Arbeit in Marokko“ unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Thimmel, in dem ich während meines Masterstudiums Soziale Arbeit an der TH Köln aktiv war und bis heute bin. Im Zuge dieses Vorhabens finden verschiedene Austauschformate zwischen Akteur*innen aus Wissenschaft, Ausbildung und Praxis auf marokkanischer und deutscher Seite statt, um einerseits wichtige Themen und Herausforderungen für einen längerfristigen Professionalisierungsprozess der Sozialen Arbeit in Marokko und andererseits neue Perspektiven und kritische Reflexionsfolien herauszuarbeiten. Dies wäre ohne den Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis kaum möglich.

Juni 2023

Ein Beitrag von

Marcel Hönighausen

Team Presse und Öffentlichkeitsarbeit


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