Reformpläne des EU-Asylsystems: Tabubruch oder Verbesserung?

EU Flagge und Richterhammer (Bild: Adobe Stock / weyo)

Im Juni haben sich die EU-Innenminister*innen auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. Was verbessern die Reformpläne? Wie lassen sie sich aus menschenrechtlicher Perspektive bewerten? Semira Sare, Lehrkraft an der TH Köln mit dem Lehrgebiet Migrations- und Flüchtlingsrecht, ordnet die vorgeschlagenen Neuerungen ein.

Wie sehen die aktuellen Pläne für die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) aus?

Im Moment ist das natürlich nur ein Rahmenkonzept. Nach den jetzigen Plänen sollen an den EU-Außengrenzen Asylzentren gegründet werden, in denen die Erfolgsaussichten eines Asylverfahrens grob geprüft werden. Man konnte aus der Politik entnehmen, dass sogenannte Screening-Verfahren durchgeführt werden. Diese dauern maximal fünf Tage lang. Neben dem gesundheitlichen Zustand wird dabei die Identität der Menschen geprüft – denn Betroffene, die an den EU-Außengrenzen ankommen, haben häufig keine Papiere dabei. Gewichtig wird hierbei die Frage sein, aus welchem Staat jemand kommt und wie hoch zurzeit dessen Asyl-Anerkennungsquote in der EU ist. Wenn die Asyl-Anerkennungsquote aus dem Herkunftsland bisher unter 20 Prozent lag, müssen die Betroffenen an den EU-Außengrenzen ein bis zu sechs Monate langes Schnellverfahren durchlaufen. Dort wird dann genauer geprüft, aus welchen Gründen jemand geflohen ist: Ob jemand vor Krieg flieht, politisch verfolgt wird und ob die Menschenrechte im Herkunftsland gewahrt werden.

In den Medien wird davon gesprochen, dass die asylsuchenden Menschen den Plänen zufolge in haftähnlichen Zuständen festgehalten würden. Stimmt das – und wenn ja, wäre das menschenrechtlich vertretbar?

Wahrscheinlich werden die Zustände in den Asylzentren ähnlich katastrophal sein wie zurzeit in den Hotspots in Griechenland. Das ist natürlich alles andere als menschenwürdig.

Aber Haft bedeutet, dass jemand irgendwo festgehalten wird. Festgehalten werden die Betroffenen, weil sie in die EU wollen. Wenn sie aber zurückkehren wollen, wird das wohl kaum gelten. Insofern ist es nicht ganz zutreffend, den Plänen zufolge von haftähnlichen Zuständen zu sprechen.

Mit der Reform soll der Verteilmechanismus verbessert werden. Das heißt: Länder werden verpflichtet, geflüchtete Menschen aufzunehmen. Tun sie das nicht, müssen sie einen finanziellen oder eine andere Art Beitrag leisten. Inwiefern verbessert sich dadurch die Situation für geflüchtete Menschen, die eine Bleibeperspektive haben?

Es kommt natürlich darauf an, was für ein Verteilmechanismus es am Ende wird. Die meisten Geflüchteten wollen nach Deutschland, nach Frankreich, oder in die skandinavischen Länder. Die Mittelmeerländer sind sowieso überbelastet. Die Staaten, die im Moment wenig geflüchtete Menschen aufnehmen, sind in Osteuropa. Dort sind allerdings auch die Lebensumstände für geflüchtete Menschen schlechter. Wenn sie also dann in diese Staaten verteilt werden, ohne dass die Umstände da besser werden, ist das keine Verbesserung für die Betroffenen.

Die aktuellen Hauptaufnahmeländer wie Deutschland, Schweden und Frankreich, Niederlande, Belgien kann es jedoch schon entlasten, wenn sie finanziell entschädigt würden. Auch wenn das ein Tropfen auf dem heißen Stein wäre, letztlich ist der Verteilmechanismus für diese Länder besser als nichts.

Aktuell dauert ein Asylverfahren bis zu einer behördlichen Entscheidung durchschnittlich über ein halbes Jahr, bis zur unanfechtbaren Entscheidung vergeht noch wesentlich mehr Zeit. Verbessern die Schnellverfahren die Lage von geflüchteten Menschen, da sie dadurch früher wissen, ob sie eine Bleibeperspektive haben?

Grundsätzlich würde man sagen: „Ja!“ Doch für die Betroffenen, deren Asylverfahren tatsächlich abgelehnt wurde, die aber nicht zurückgeschickt werden können, verschlechtert sich die Situation. Denn auch jetzt schon werden nicht wenige abgelehnt, sie bleiben aber über Aufenthaltsverfestigungsmöglichkeiten, die es im Aufenthaltsgesetz gibt, trotzdem. Denn sie haben während des Asylverfahrens zum Beispiel bereits eine Beschäftigung, eine Ausbildung oder ähnliches gefunden. Eben diese Möglichkeiten würden bei Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen wegfallen.

Mehrere EU-Staaten haben die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben. Wäre das darin festgeschriebene Recht auf Asyl noch gegeben, wenn die EU-Reformpläne umgesetzt würden?

Grob kann man sagen, dass der Genfer Flüchtlingskonvention über 140 Staaten beigetreten sind. Auch wenn es davon abhängt, wie das verabschiedete Gesetz am Ende aussieht, kann man auf jeden Fall von einer weiteren Aushöhlung des Asylrechts sprechen. Die Möglichkeit, Schutz zu ersuchen, wird durch das Screening und das Schnellverfahren erheblich erschwert.

Juristisch kann man nicht ganz von einer Abschaffung des Rechts auf Asyl sprechen, faktisch jedoch wird es in der Umsetzung für einen nicht unbeachtlichen Anteil von Menschen darauf hinauslaufen.

Juli 2023

Ein Beitrag von

Henrike Klehr

Team Web-Kommunikation


M
M