Plastik hinter dem Eisernen Vorhang – Alltagsgegenstände aus der DDR
Ein Kinderfriseur-Spieleset, eine Gießkanne aus den 60er Jahren, ein elektrisches Fußpflegeset im Space-Age Design und ein eiförmiger Gartenstuhl: Diese und viele weitere Alltagsgegenstände aus der ehemaligen DDR stehen im Mittelpunkt des neuen Forschungsprojekts „German Democratic Plastics in Design“.
Das Getty Conservation Institute (GCI) in Los Angeles, die Neue Sammlung – The Design Museum in München, das Wende Museum of the Cold War in Los Angeles und die TH Köln wollen in dem Vorhaben Fragen im Zusammenhang mit der Herstellung, Gestaltung und Erhaltung von Kunststoffprodukten der DDR-Zeit untersuchen.
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Die Pressemitteilung vom 23. April 2021 als PDF lesen.
In dem Forschungsprojekt werden in einer großangelegten Reihenuntersuchung mehr als 300 Haushaltsobjekte der ehemaligen DDR aus der Zeit zwischen 1949 und 1990 untersucht, dokumentiert und verglichen. Das Wende Museum und Die Neue Sammlung – The Design Museum haben mehrere tausend solcher Kunststoffobjekte aus dem Bereich Alltagskultur in ihren Sammlungen. Viele der farbenfrohen Stücke sind herausragende Design-Leistungen und repräsentieren die moderne Ästhetik, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Verbraucherinnen und Verbrauchern in vielen Ländern bevorzugt wurde.
Bildergalerie
Blumengießkannen aus dem Volkseigenen Betrieb Glasbijouterie Zittau (1960), Design: Klaus Kunis (Bild: Die Neue Sammlung – The Design Museum / Alexander Laurenzo)
Manikür- und Pedikürgerät im Space-Age Design aus dem Volkseigenen Betrieb Elektrogerätewerk Suhl (1974), Design: Peter Grahl, Horst Oehlke (Bild: Die Neue Sammlung – The Design Museum / Alexander Laurenzo)
Verpackung eines Kinderfriseur-Spielesets aus dem Volkseigenen Betrieb Spielzeug-Elektrik Meiningen (1964) (Bild: Wende Museum)
Nach der Teilung Deutschlands entwickelte sich die DDR rasch zu einer der führenden kunststoffproduzierenden Nationen und exportierte ihre Produkte in fast alle Länder des Ostblocks und teilweise sogar in den Westen. Die angewendeten Produktionsmethoden waren dabei vom westlichen Einfluss weitgehend unberührt. „Die Forschung hat sich bisher wesentlich auf die Konservierung von Objekten aus dem Westen konzentriert. Mit diesem Projekt beleuchten wir diese sehr ansprechenden, für den Alltag konzipierten Kunststoffgegenstände aus Ostdeutschland. Die gewonnenen Erkenntnisse bezüglich deren Herstellungsweise helfen uns, sicherzustellen, dass diese archetypischen Gebrauchsartikel für die Nachwelt erhalten bleiben“ sagt Odile Madden, leitende Wissenschaftlerin am Getty Conservation Institute.
„So unverwüstlich Kunststoff auch erscheinen mag, viele historisch bedeutsame Kunststoffobjekte altern dramatisch – sie verspröden, werden weich, reißen und können im Laufe der Zeit komplett zerfallen. Deshalb arbeiten weltweit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, die Alterung von Kunststoffen in Kunstwerken und historisch wichtigen Alltagsgegenständen systematisch zu untersuchen und Lösungskonzepte für deren Erhalt zu entwickeln. Durch die analytische Untersuchung von Kunststoffen lassen sich diese strukturell besser charakterisieren, Alterungsprozesse optimaler prognostizieren und Erhaltungsstrategien individueller anpassen“, sagt Prof. Dr. Friederike Waentig vom Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der TH Köln.
Weiterführende Informationen
Im dem Forschungsprojekt nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in temporär eingerichteten Analyselaboren vor Ort analytische Verfahren zur Identifikation von Kunststoffen und deren Zusammensetzung. Auch bislang eher vernachlässigte Aspekte wie der Einfluss des Produktionsverfahrens und der Nutzungsarten auf die Haltbarkeit von Kunststoffobjekten sind Gegenstand der Forschung. Durch visuelle Begutachtung konnten bereits erste interessante Hinweise auf die Fertigungsmethoden von Kunststoffen dokumentiert werden. So zeigen viele Objekte auf ihrer Unterseite geprägte Systemnummern; versteckte Indikatoren für Produktionsort, Materialwahl und manchmal sogar den vorab festgelegten Verkaufspreis.
Die Neue Sammlung - The Design Museum verfügt über eine kontinuierlich und zielgerichtet ausgebaute Sammlung von DDR-Designobjekten und über eine langjährige Forschungserfahrung bei der Konservierung moderner Materialien. Das Wende Museum bringt neben seiner Sammlung den Blick auf sowjetisch geprägte sozio-kulturelle Positionen im Design und der Kunst jener Zeit in das Vorhaben ein. Das Getty Conservation Institut und sein Team von Kunststoffwissenschaftlern und -restauratoren fördern seit vielen Jahren die Konservierung von Kulturgut und das Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der TH Köln steuert seine umfangreiche Forschungsexpertise und sein Wissen über die Geschichte, Analyse und Konservierung von Kunststoffen bei.
Das Projekt wird von einer Ausstellung (Projekttitel: House of plastics) sowie einer abschließenden Fachtagung begleitet. Die Forschungsergebnisse werden in der Schriftenreihe des Getty Conservation Institute publiziert.
Die TH Köln zählt zu den innovativsten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Sie bietet Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland ein inspirierendes Lern-, Arbeits- und Forschungsumfeld in den Sozial-, Kultur-, Gesellschafts-, Ingenieur- und Naturwissenschaften. Zurzeit sind rund 27.000 Studierende in etwa 100 Bachelor- und Masterstudiengängen eingeschrieben. Die TH Köln gestaltet Soziale Innovation – mit diesem Anspruch begegnen wir den Herausforderungen der Gesellschaft. Unser interdisziplinäres Denken und Handeln, unsere regionalen, nationalen und internationalen Aktivitäten machen uns in vielen Bereichen zur geschätzten Kooperationspartnerin und Wegbereiterin.
Das Getty Conservation Institute (GCI) arbeitet international, um die Konservierungspraxis in der bildenden Kunst voranzutreiben – im weitesten Sinne des Wortes, um Objekte, Sammlungen, Architektur und Stätten einzubeziehen. Das Institut dient der Konservierungsgemeinschaft durch wissenschaftliche Forschung, Aus- und Weiterbildung, Feldprojekte und die Verbreitung von Informationen. In all seinen Bestrebungen schafft und liefert das GCI Wissen, das zur Erhaltung des kulturellen Erbes der Welt beiträgt.
Die Neue Sammlung - The Design Museum gilt als das erste Designmuseum der Welt. Gegründet 1907 nach den Idealen des Deutschen Werkbundes, wurde es 1925 als offizielles staatliches Museum eingeweiht. Von Anfang an unterschied es sich von den Kunstgewerbemuseen der Zeit, indem es sich dezidiert der Moderne und damit dem zeitgenössischen Design widmete. Bis heute verfolgt das Programm der Neuen Sammlung diese ursprünglichen Ziele. Mit über 100.000 katalogisierten Objekten ist Die Neue Sammlung eine der größten und schönsten Designsammlungen der Welt. Ihre Restaurierungsabteilung gilt als eines der wichtigsten internationalen Zentren für die Konservierung von Designobjekten der Moderne. Internationale Anerkennung hat sie durch die Initiierung der Konferenzreihe und postprints FUTURE TALKS erlangt.
Das Wende Museum ist ein Kunstmuseum, ein historisches Archiv des Kalten Krieges und ein Zentrum für kreatives, gesellschaftliches Engagement, das Veränderungen erforscht und anregt. Gegründet 2002, beherbergt das Wende Museum eine einzigartige Sammlung von Kunst und Artefakten aus dem Ostblock. Es fördert die vielschichtige Erforschung und Diskussion dieser Zeit. Benannt nach dem deutschen Wort ,Wende', das die Ära vor und nach dem Fall der Berliner Mauer beschreibt, dient das Museum als Grundlage für ein dynamisches Programm, das die politischen und kulturellen Veränderungen der Vergangenheit beleuchtet und persönliche und gesellschaftliche Veränderungen für die Zukunft anregt.
April 2021