Prof. Dr. Volker Mayer

Prof. Dr. Volker Mayer

Wirtschafts- und Rechtswissenschaften
Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften (WI)

Pandemiebedingt insolvent?

Die Corona-Pandemie hat die deutsche Wirtschaft schwer getroffen und 2020 einen Rückgang des Bruttoinlandproduktes von fast fünf Prozent verursacht. Trotzdem ist die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren um 30 Prozent gesunken, die der abgeschlossenen Unternehmensinsolvenzen um 15 Prozent. Prof. Dr. Volker Mayer vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften erläutert die Hintergründe.

Porträt Volker Mayer Prof. Dr. Volker Mayer (Bild: privat)

Herr Prof. Mayer, um die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu bekämpfen, hat die Bundesregierung die Insolvenzantragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen ausgesetzt. Wie beurteilen Sie die Maßnahme?

Die vom Gesetzgeber schnell angekündigten und umgesetzten Änderungen sind richtig und wichtig. Neben der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist die Lockerung der Zahlungsverbote nach Eintritt der Insolvenzreife hervorzuheben. Bisher durften Geschäftsführer in der Insolvenz nur Zahlungen tätigen, die für den Fortbestand des Unternehmens wichtig waren und mussten im Zweifelsfall Schulden auflaufen lassen. Dort gibt es jetzt mehr Spielraum.

Allerdings soll und kann das Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG den betroffenen Unternehmen lediglich Zeit geben, um ein Sanierungskonzept zu erarbeiten. Operative Maßnahmen wie Anpassungen bei Beschaffung, Produktion oder Personal, Förderdarlehen, Staatshilfen oder Beiträge von Gesellschaftern, Lieferanten oder Kunden müssen individuell erarbeitet werden.

Was genau besagt das COVInsAG?

Kern des Gesetzes ist die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die zunächst bis zum 30. September 2020 galt und dann für überschuldete, aber nicht zahlungsunfähige Unternehmen bis zum 31. Dezember 2020 verlängert wurde. Seither gilt die Aussetzung der Insolvenzantragsfrist befristet bis zum 30. April 2021 nur noch für Unternehmen, die Anspruch auf staatliche finanzielle Hilfen haben, die sogenannten Novemberhilfen. Unternehmen, bei denen die Insolvenzreife keine Folge der Covid-19-Pandemie ist oder die keine Aussichten auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit haben, können sich auf das Gesetz nicht berufen. Allerdings gibt es eine Vermutungsregel – der Gesetzgeber geht also im Moment davon aus, dass der Eintritt der Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Pandemie beruht.

Das COVInsAG gilt als besonders schwer verständlich. Sehen Sie das ähnlich?

Die Aussage ist korrekt und hat verschiedene Ursachen. Zum einen ist es präziser, Ausnahmefälle negativ zu definieren. Dadurch entstehen Schachtelsätze mit teils doppelter Verneinung. Zudem ist die Rechtswissenschaft eine Wissenschaft mit eigener Terminologie, die sich nicht immer ohne inhaltliche Verluste allgemeinsprachlich auflösen lässt. Problematisch ist seit vielen Jahren eine unglaubliche Detailversessenheit des Gesetzgebers in nahezu allen Bereichen, so dass Gesetze eher wie Verwaltungsvorschriften gelesen werden müssen.

Ist stets eindeutig, wann die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt wird?

Das Gesetz umfasst direkte und indirekte Pandemiefolgen. Bei direkten Folgen – etwa in der Gastronomie – wird es kaum Schwierigkeiten geben. In manchen Fällen ist aber nicht eindeutig, ob eine Insolvenzreife auf der Covid-19-Pandemie beruht. Beispielsweise, wenn ein Unternehmen in Schieflage gerät, weil Partner aus benachbarten Branchen nicht mehr zahlen können. Ergibt sich nicht auf den ersten Blick, dass etwa Umsatzrückgang, Zahlungsausfall oder Auftragsabbruch Folge der Pandemie sind, sollten die Unternehmen dies genau dokumentieren und gegebenenfalls Feedback einholen, warum ein Auftrag nicht erteilt oder eine Forderung nicht beglichen wurde. Im Zweifelsfall wird jedoch bei einer späteren Auseinandersetzung auch die Vermutungsregelung weiterhelfen.

Wie ist die Lage von Unternehmen, die auch aufgrund des COVInsAG bislang überlebt haben?

Mit den Folgen der Covid-19-Pandemie werden Unternehmen noch lange zu kämpfen haben. Daher ist zum 1. Januar 2021 das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG in Kraft getreten. Seither gibt es das sogenannte vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren. Dadurch können beispielsweise Gläubiger an den Verhandlungstisch gezwungen werden, um das Überleben eines Unternehmens zu sichern, ohne dass ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Bislang war das nur im Falle der Insolvenz möglich. So sollen frühzeitig Maßnahmen möglich werden, um die Zahlungsfähigkeit zu erhalten.

Problematisch ist in vielen Fällen eine schlechte Bilanzqualität. Unabhängig von der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht hat sich durch die Krise die Eigenkapitalquote tendenziell stark verschlechtert. Diese Risiken haben nun auch die Banken als Kreditgeber in ihren Büchern. Das wird uns noch lange Jahre begleiten und belasten. Die bereits erwähnten Sanierungskonzepte sind ein Schritt in Richtung Lösungsfindung.

Daneben besteht natürlich das ganz große Problem sogenannter Zombies: Unternehmen, die längst hätten abgewickelt werden müssen und sich jetzt die Pandemie zunutze machen. Diese gefährden künftig massiv die Existenz der von ihnen abhängigen Kunden und Lieferanten, weil sich ihre Lage weiter verschlimmert hat und sie weiter Schulden anhäufen konnten.

April 2021

Prof. Dr. Volker Mayer

Prof. Dr. Volker Mayer

Wirtschafts- und Rechtswissenschaften
Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften (WI)


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