Mehr Raum für Boden
Versiegelte Flächen sind besonders in Ortschaften ein großes Problem bei Starkregen, da die Böden das Wasser nicht aufnehmen können. Geograph Dr. Udo Nehren, Professor für Ökosystemmanagement, sieht das Flächenmanagement in der Pflicht: Nicht nur in den Städten bedarf es dringender Maßnahmen, um sich gegen zukünftige Starkregenfluten zu wappnen, sondern auch in der Landwirtschaft.
Nach dem Hochwasser wurden sofort die Fragen nach der Verantwortung und möglichem Behördenversagen gestellt. Müssen wir uns nicht auch fragen, ob wir die Flächen zu stark versiegelt haben?
Neben den extrem großen Niederschlagsmengen, die im Juni in Verbindung mit Topographie und Vorfeuchte der Gebiete zu diesen katastrophalen Hochwässern geführt haben, spielt auch die Flächenversiegelung eine große Rolle. In großen Flusseinzugsgebieten wie am Rhein und an der Donau hat man das Problem durch die extremen Hochwasser der letzten Jahrzehnte erkannt, die durch Flächenversiegelung, Flussbegradigungen und Flurbereinigungen sowie durch die Kanalisierung von Vorflutern verschärft wurden. Seitdem sind verschiedene Maßnahmen ergriffen worden, um Flächen wieder zu entsiegeln und sogenannte Retentionsflächen zu schaffen, also Flächen, die im Falle eines Hochwassers zur Überflutung genutzt werden können. Entlang des Rheins wurde beispielsweise im Zuge des Aktionsplans Hochwasser durch die Rhein-Anliegerstaaten bislang rund 340 Millionen Kubikmeter Retentionsvolumen wiederhergestellt. In Köln wurden die Retentionsräume Porz-Langel/Niederkassel-Lülsdorf und Worringen geschaffen. Die Westhovener Aue ist als naturnahe Flutungsfläche deklariert und so von einer Bebauung ausgenommen. Auch entlang der Erft und Ahr wurden im Zuge der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie Renaturierungsmaßnahmen auf den Weg gebracht. Aber nach den verheerenden Überschwemmungen in diesem Sommer stellt sich unweigerlich die Frage, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden müssen, um derartige Katastrophen in Zukunft zu verhindern. Die Schaffung weiterer Retentionsflächen, der Bau von Regenrückhaltebecken und Flächenentsiegelung zählen ebenso hierzu wie Maßnahmen in der Land- und Forstwirtschaft, die darauf zielen, die Wasserspeicherfähigkeit von Böden und Vegetation zu erhöhen.
Auf Hochwasser an großen Flüssen ist unsere Gesellschaft durch die historischen Erfahrungen vorbereitet und gut eingestellt. Welche Vorsorge müssen wir bei kleinen Flussgebieten zukünftig treffen?
Ich bin an der Mosel aufgewachsen. Die Hochwassergefahr ist hier allgegenwärtig und in vielen Orten gibt es Häuser mit historischen Hochwassermarken. Die Bevölkerung ist sich daher der Gefahr bewusst und weiß im Katastrophenfall, was zu tun ist. Auch an der Ahr ist man für gewöhnlich auf Hochwasser gut vorbereitet. In diesem Jahr übertraf jedoch die Hochwasserwelle die der letzten 100, möglicherweise sogar 200 Jahre. Das überstieg unser aller Vorstellungskraft. Ein ganz entscheidender Unterschied in der Hochwasserprävention zwischen den großen Flüssen, wie Rhein und Mosel, und kleineren Flüssen und Bächen ist der Zeitfaktor. Die großen Flüsse steigen vergleichsweise langsam an. Es gibt dadurch ziemlich genaue Vorhersagen der zu erwartenden Pegelhöhen und damit eine ausreichende Reaktionszeit, um Schutzmaßnahmen zu treffen. Aber an kleineren Fließgewässern steigen die Pegel sehr rasch an, so dass nur sehr wenig Zeit zur Evakuierung bleibt. Abgesehen von den sicherlich zu verbessernden Frühwarnsystemen und Evakuierungskonzepten, sehe ich eine Kombination aus grauer Infrastruktur und ökosystembasierten Maßnahmen, um das Hochwasserrisiko zu mindern. Zur grauen Infrastruktur gehören beispielsweise Regenrückhaltebecken, Schutzdeiche und -mauern. Ökosystembasierte Maßnahmen beinhalten die angesprochenen naturnahen Retentionsräume, Renaturierungsmaßnahmen in Hangbereichen und entlang der Gewässer sowie eine an zukünftige Klimaänderungen und damit einhergehende Naturgefahren angepasste Waldbewirtschaftung. Wir sollten uns auch fragen, inwieweit die landwirtschaftliche Nutzung inklusive des Weinbaus so optimiert werden kann, dass die Böden möglichst viel Wasser aufnehmen und speichern können und somit der Hangabfluss reduziert wird. Hier bieten sich beispielsweise eine Ausweitung von Ackerrandstreifen, hangparalleles Pflügen sowie Maßnahmen zur Hangparzellierung und -stabilisierung, im Weinbau auch in der traditionellen Form von Terrassierungen mit Trockenmauern, an.
Was muss jetzt beim Wiederaufbau der Orte aus Sicht des Flächenmanagements beachtet werden?
Die anhaltende Nutzung von Freiflächen vor allem für den Siedlungsbau und die Verkehrsentwicklung hat zur Folge, dass wichtige Ökosystemleistungen der Böden und der Vegetation verloren gehen. Beide haben aber unmittelbaren Einfluss auf Wetterextreme und Naturgefahren. Innerhalb der Siedlungsgebiete müssen vermehrt Grünflächen und Möglichkeiten der Wasserspeicherung und Versickerung geschaffen werden – das Konzept der sogenannten Schwammstadt zeigt hier verschiedenste Möglichkeiten auf. Dabei geht es vor allem um die Zwischenspeicherung von Wasser bei Überflutung, damit die Kanalisation entlastet wird. Dazu gehören multifunktionale Flächen, die so angelegt sind, dass sie bei Trockenheit genutzt und bei Regen überflutet werden können, beispielsweise ein Fußballplatz. Außerdem gibt es durchlässige Pflastersteine. Dach- und Fassadenbegrünung spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Auch die naturnahe Entwicklung der Fließgewässer innerhalb von Siedlungsbereichen muss weiter vorangetrieben werden. Dazu gehören Bachentrohrung, die Entfernung von Ufer- und Sohlverbau und die Schaffung naturnaher Überschwemmungsbereiche. An der Erft wurden bereits einzelne Maßnahmen umgesetzt, wie beispielsweise die Renaturierung in Bergheim-Kenten. Allerdings sind solche Maßnahmen in den engen Oberläufen der Flüsse, die häufig als Kerbtäler ausgebildet sind, also an der Sohle sehr schmal, sowie im Bereich von Flussmäandern, wie beispielsweise in Altenahr oder Schuld im Ahrtal, begrenzt. Deshalb sollte man hier in Erwägung ziehen, auf einen Wiederaufbau in unmittelbarer Flussnähe zu verzichten und, wo möglich, auf höhere Reliefpositionen auszuweichen.
„Klimaschutz und Prävention von Naturgefahren gehen unmittelbar mit dem Bodenschutz einher.”
Worauf kommt es beim Ökosystem- und Flächenmanagement im Hinblick auf den Klimawandel vor allem an?
Grundsätzlich müssen alle heute geplanten ökosystembasierten Maßnahmen an zukünftige Klimaverhältnisse angepasst sein. Das heißt, dass beispielsweise neu gepflanzte Bäume verstärkt trocken- und hitzeresistent sein müssen. Gleichzeitig müssen sie an Hängen eine hohe Stabilität gegenüber durch Starkniederschläge induzierten Rutschungen und Erosion haben. Im Uferbereich müssen sie hingegen einer starken mechanischen Beanspruchung widerstehen. Hinzu kommen die ökonomischen Erwägungen, die bei der Suche nach geeigneten Baumarten eine große Herausforderung für die Forstwirtschaft darstellen. Das gilt auch für die Bewirtschaftung städtischer Grünflächen. Wir müssen außerdem der Rolle unserer Böden verstärkt Aufmerksamkeit schenken. Denn sie spielen eine zentrale Rolle im Wasserhaushalt: Sie nehmen Wasser auf, speichern und geben es (langsam) wieder ab. Damit mindern sie bei Starkniederschlägen den Hangabfluss – zumindest so lange, bis sie gesättigt sind. In Trockenperioden stellt der Boden hingegen einen Restwasserspeicher für die Vegetation dar. Die Übernutzung der Böden hat aber dazu geführt, dass ihre Mächtigkeit durch Erosionsprozesse großflächig abgenommen hat. Ihre Wasserspeicherfähigkeit ist dadurch gemindert. Gleichzeitig wurde der Boden vielerorts durch schweres landwirtschaftliches Gerät verdichtet, so dass er weniger Wasser aufnehmen und halten kann. Klimaschutz und Prävention von Naturgefahren gehen daher unmittelbar mit dem Bodenschutz einher.
Die Fakultät für Raumentwicklung und Infrastruktursysteme arbeitet in verschiedenen regionalen Projekten mit den Kommunen zusammen an der Renaturierung. Haben Sie einen Überblick, wie viel Bedarf zur Änderung des Ökosystemmanagements es alleine in dieser Region gibt?
Das lässt sich pauschal nicht sagen. Grundsätzlich geht es beim Ökosystemmanagement ja um die Erreichung verschiedener Zielsetzungen, wie den Biodiversitätsschutz, die Klimawandelanpassung, die Kohlenstoffspeicherung und die Minderung von Naturgefahren – aber auch um die Bereitstellung hochwertiger Landschaftsräume für die Naherholung und die ökologische Wiederherstellung ehemaliger Bergbauflächen. Renaturierung verfolgt daher sehr verschiedene Ziele und entsprechend groß ist das Portfolio von Maßnahmen. Unsere Fakultät unterstützt die Stadt Kerpen derzeit beispielsweise bei der Erarbeitung einer Klimaanpassungsstrategie und eines Monitoringsystems, um Umweltveränderungen zu erfassen.
Wie viel Zeit braucht es im Durchschnitt, ein Gebiet zu renaturieren?
Auch das lässt sich pauschal nicht sagen, da es von der Art und dem Umfang der Maßnahme abhängt. Während kleinere Projekte, wie die lokale Renaturierung der Ufervegetation, innerhalb weniger Jahre geplant und erfolgreich umgesetzt werden können, bedarf es bei größeren Maßnahmen meist einiger Jahrzehnte. So wurde beispielsweise der ökologische Umbau der Emscher 1992 begonnen und soll voraussichtlich Ende 2021 abgeschlossen sein.
Wie viel kostet im Durchschnitt so eine Renaturierung?
Die Kosten hängen entscheidend von Art und Umfang der Maßnahme ab. Für die Renaturierungen von Fließgewässern sind unter anderem Kosten für Planung, Flächenankauf, Baumaßnahmen und Instandhaltung zu berücksichtigen. Im Falle der großräumigen Renaturierung der Emscher beträgt das Investitionsvolumen laut offiziellen Angaben rund 5,4 Milliarden Euro. Kleinere Maßnahmen lassen sich aber schon mit rund 10 Euro pro Gewässermeter realisieren.
Und was ist aus Ihrer Sicht wichtiger: graue Infrastruktur- oder Renaturierungsmaßnahmen?
Die Diskussion, ob in grüne oder graue Infrastruktur investiert werden soll, wird oft sehr emotional geführt. Häufig ist das Vertrauen der Bevölkerung in graue Infrastruktur wie Deiche, Regenrückhaltebecken oder Schutzwände größer. Ökologische Maßnahmen werden bisweilen als minderwertig und weniger effektiv angesehen, was jedoch wissenschaftlich so nicht belegt werden kann. In der Realität kommt häufig eine Kombination aus grüner und grauer Infrastruktur zum Einsatz. Hinsichtlich der Effektivität und der Kosten muss dabei im Einzelfall entschieden werden, ob eine graue, grüne oder Hybridlösung zu präferieren ist. Der Hochwasserschutz der Stadt Köln beispielsweise baut auf eine solche Kombination, indem die mobile Hochwasserschutzwand als technische Lösung implementiert wurde, gleichzeitig aber Retentionsflächen geschaffen und naturnahe Überschwemmungsbereiche geschützt wurden.
Stichwort Eigenverantwortung: Wo sollen die Kommunen selbst entscheiden und wo soll der Bund regulieren bzw. Vorgaben setzen?
Die Verantwortung für den Hochwasserschutz im Hinblick auf die Entwicklung von Strategien und Umsetzung konkreter Maßnahmen hat der Bund den Bundesländern übertragen, wobei für einzelne Projekte des Hochwasserschutzes auch Kommunen oder Wasserverbände verantwortlich sein können. Gleichzeitig setzt die Europäische Wasserrahmenrichtlinie den gesamteuropäischen Ordnungsrahmen für eine integrierte Gewässerschutzpolitik, die als ein Ziel die Minderung von Überschwemmungen beinhaltet. Aus meiner Sicht kann ein effektives Hochwassermanagement nur dann funktionieren, wenn die Zuständigkeiten und Kompetenzen klar definiert sind. Diesbezüglich ist ja gerade auf politischer Ebene eine Diskussion im Gange, inwieweit die Kompetenzen des Bundes und im Besonderen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BBK) ausgeweitet werden sollten. Konkret gesagt: Aus meiner Sicht muss ein großräumiges Hochwasserrisikomanagement auf Flussgebietsebene im europäischen und nationalen Kontext erfolgen, während lokal wirksame Einzelmaßnahmen von Wasserverbänden oder Kommunen entwickelt und implementiert werden sollten. Dieses Zusammenspiel von Top-down- und Bottom-up-Ansätzen bedarf allerdings einer effektiven Steuerung, bei der es noch Verbesserungspotenzial gibt.
Virtuelle Exkursion an die Erft Was tun, wenn Exkursionen in Zeiten von Corona nicht möglich sind oder Studierende aus anderen Gründen nicht teilnehmen können? Kein Problem, dann kommt die Exkursion eben zu den Studierenden nachhause. Am Institut für Technologie und Ressourcenmanagement in den Tropen und Subtropen (ITT) haben Studierende die Möglichkeit, der Erft einen virtuellen Besuch abzustatten. Im Rahmen des vom DAAD geförderten Projekts „Hybrid International Teaching & Learning Community” entwickelt Dr. Georg Lamberty mit Partnerinnen und Partnern aus der Praxis ein hybrides Lehrformat, das unverzichtbare Exkursionserfahrungen mit den Möglichkeiten der digitalen Lehre kombiniert. Statt frontalem Online-Unterricht ermöglicht die virtuelle Exkursion den Studierenden, sich individuell und zeitlich unabhängig mit der Fließgewässerlandschaft der Erft und den Transformationsprozessen im Rheinischen Revier vertraut zu machen. Um komplexes Fachwissen vermitteln zu können, sind die visuellen Elemente der Exkursion mit Inhalten aus unterschiedlichen Modulen des ITT angereichert. Der Prototyp der Anwendung wird derzeit durch Übungen, Spielelemente und fachliche Themenstränge ergänzt (unter anderem das Hochwasser im Juli 2021), um den Studierenden interaktives Lernen zu ermöglichen. Zukünftig soll eine mobile Augmented-Reality-Variante den Lernenden die Vorteile einer kombinierten real-virtuellen Exkursion bieten. Ziel der Weiterentwicklung des Prototyps ist es zudem, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem sich virtuelle Exkursionen unkompliziert auch in anderen Themengebieten erstellen lassen, beispielsweise Landschafts- und Stadtplanung oder technische Infrastrukturen. |
April 2022