Vom Overhead-Projektor zur Turbo-Digitalisierung
Kurz nach seinem zwanzigjährigen Dienstjubiläum blickt Prof. Dr. Axel Faßbender vom Institut für Fahrzeugtechnik auf die Entwicklung der Lehre an der TH Köln. Ein Interview über Lehrexperimente, das Büro im Hörsaal und den Blick in die Zukunft.
Herr Prof. Faßbender, wie sind Sie an die damalige Fachhochschule Köln gekommen?
Als Absolvent einer renommierten technischen Universität hatte ich seinerzeit keine Vorstellung von Fachhochschulen. Erst durch meine Tätigkeit in der Automobilindustrie lernte ich durch verschiedenste Projekte diese Bildungseinrichtungen kennen und schätzen. Da ich sowohl während meiner Promotionszeit als auch später in der Industrie immer gerne mit jungen Menschen anwendungsnah zusammenarbeitete und die Stellenausschreibung meine Expertise spiegelte, war ich der Ausschreibung der Fachhochschule Köln gegenüber sehr aufgeschlossen.
Wie waren Lehrveranstaltungen typischerweise gestaltet, als sie im Jahr 2000 an unserer Hochschule angefangen haben?
Viele Lehrveranstaltungen wurden in dieser Zeit vor allem mit Overheadprojektor und Tafel gestaltet. Basierend auf meinen Industrieerfahrungen habe ich darüber hinaus Beamer eingesetzt, Materialien digital zur Verfügung gestellt und mit den Studierenden per E-Mails kommuniziert. Das war damals eher ungewöhnlich. Und ich erinnere schmunzelnd die Kommentare meiner Frau zu Farbspuren von Stiften an meinen Händen oder Kreiderückständen an Hosen und Hemden.
Nach kurzer Zeit habe ich begonnen, meine Lehre projektbasiert zu denken und Aufgaben zu stellen, bei denen das Ergebnis offen oder teilweise offen ist und ich mit den Studierenden gemeinsam den Lernweg gehe.
Es herrschte damals vor allem Frontalunterricht?
Ja, das stimmt. Frontalunterricht in kleineren Gruppen, mit der Gefahr der Verschulung. Wobei Frontalunterricht nicht per se etwas Schlechtes ist, sondern in bestimmten Situationen seine Vorteile und Berechtigung hat. Durch die synchrone Wissens- und/oder Methodenvermittlung stellt man sicher, dass alle Studierenden, und zwar persönlich, zum gleichen Zeitpunkt die gleiche Information erhalten. Das kann in manchem Kontext kein Lehrvideo übernehmen. Selbst bei modernen Lehrformen gibt es immer wieder Impulsvorträge oder Frontalsituationen in Präsenz. Insofern spielt diese Lehrform auch in meiner jetzigen Lehre eine Rolle, ohne dass ich sie übermäßig häufig anwende, da eine Aktivierung der Studierenden – insbesondere bei größeren Gruppen – nur begrenzt möglich ist.
Wohin hat sich Ihre Lehre entwickelt?
Meine Lehre hat sich im Laufe der Jahre zu einem Format gewandelt, das einem Großraumbüro ähnelt. Dazu buche ich während der Vorlesungszeit an mehreren Tagen in der Woche zwischen circa 10 und 18 Uhr einen Hörsaal. Dort finden meine Veranstaltungen statt. Die Lerninhalte werden durch Impulsvorträge, Lernvideos und Tutorien vermittelt. Zudem stelle ich Getriebeteile, Schnittmodelle, eine Montagebank, vertiefende Literatur sowie Laptops mit einer speziellen Software bereit. In dieser Zeit verlege ich mein Büro in den Hörsaal, wo ich auch abseits der Veranstaltungen arbeite und ansprechbar bin. Die Studierenden haben dadurch nicht nur einen festen Arbeitsplatz, sondern können jederzeit auf mich oder die Tutoren zukommen. Dieses Angebot wird stark genutzt, mit einer sehr großen Bandbreite an Fragen.
Über das Semester hinweg gibt es verschiedene Formate, in denen ich einzelne Kompetenzen prüfe. Am Ende des Moduls steht keine Klausur. Zu Beginn werden individuell zu bearbeitende Aufgaben gestellt, zum Ende hin eine im Team zu bewerkstelligende Hausarbeit. Die Aufgaben sind komplex und so parametrisiert, dass nicht „blind“ abgeschrieben werden kann; der Austausch, ein Lernen miteinander ist aber ausdrücklich erwünscht.
War ihr Weg zu dem Format gradlinig oder haben Sie auch Dinge probiert und verworfen?
Der Weg zu meinem Großraumbüro war experimentell, man muss einfach mit Mut seine Ideen umsetzen und testen. So gab es über die Jahre unterschiedliche Ansätze der Bewertungen sowie der Rückmeldung der studentischen Ergebnisse. Zum Beispiel habe ich mal ausprobiert, dass die Studierenden ihre Hausaufgaben gegenseitig korrigieren. Ich habe dann sowohl die eigentliche Arbeit korrigiert, als auch die studentische Korrektur. Die Studierenden fanden das größtenteils gut, einige wenige waren allerdings teils zurecht verärgert, weil das System nicht gerecht ist: Bekommt ein „guter“ Studierender eine sehr schlechte Arbeit, muss er viel mehr korrigieren, als wenn er eine gute Arbeit erhält. Ein „schlechter“ Studierender, der eine sehr gute Arbeit korrigieren muss, ist dazu ja gar nicht in der Lage und findet vermutlich keine Fehler. Also was korrigiere ich dann? Eine spannende Methode, durch die man entdecken kann, ob sich jemand wirklich mit der Materie beschäftigt hat. Aber es war unglaublich zeitaufwändig und komplex, also habe ich das dann fallen gelassen.
Wie würden Sie die Entwicklung der Lehre an der TH Köln in Ihrer Zeit insgesamt beurteilen?
Nachdem ich ungefähr zehn Jahre da war, gab es so etwas wie ein Aufwachen aus dem Dornröschenschlaf. Bis dahin hatte ich viele Dinge alleine ausprobiert, aber es gab keine Kultur zum Gedankenaustausch über Lehre, weder innerhalb noch außerhalb der Fakultäten. Dann hat die Bedeutung der Lehre an der Hochschule zugenommen, die Hochschuldidaktik wurde in einer etwas präsenteren Form neu aufgesetzt und Elemente wie beispielsweise das Neuberufenenprogramm, der Tag der Lehre, das Team für Medien in der Lehre, die Expertisezirkel oder die „Night of the scholars“ sind entstanden. Diese Impulse haben bewirkt, dass die Lehrenden stärker miteinander vernetzt wurden und werden. Drei Aspekte sind dabei in den Vordergrund geraten: Die Abstimmung von Prüfungen, Kompetenzen und Lehrformen, die Förderung selbstregulierten Lernens und die Erforschung der eigenen Lehre. Und da stehen wir als TH Köln im Vergleich mit anderen Hochschulen nach meiner Wahrnehmung sehr gut da.
Welche Faktoren sorgen dafür, dass Lehre gelingt?
Die Hauptvoraussetzung ist die Freude am eigenen Fach. Und ich muss gerne mit Menschen zusammenarbeiten. Hinzu kommt Geduld gegenüber dem System, in dem ich mich bewege und das mir nicht immer das Geld und Personal gibt, das ich gerne hätte. Also muss ich Strategien entwickeln, um meine Ideen mit den vorhandenen Ressourcen umzusetzen. Der Austausch mit anderen Lehrenden ist wichtig. Und da nach Aristoteles ja das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, sind für ein Gelingen von Lehre eine gut koordinierte Lehrorganisation sowie ein schlüssig abgestimmtes, kompetenzorientiertes Konstrukt des Studienverlaufs voraussetzend. Ein wichtiger Faktor sind auch Räumlichkeiten, die nicht nur groß sein, sondern auch zur Lehrform passen müssen. Der Neubau des Campus Deutz ist für uns eine Chance, Räume so zu gestalten, dass Lernen auch als Begegnen verstanden werden kann. Da können wir als TH Köln noch viel machen, etwa die Einrichtung von Hörsälen mit einer bestimmten Infrastruktur, die man je nach Lehrform flexibel umgestalten kann, oder viele kleine Lernräume, die Studierende selbst buchen können.
Wie wird sich Ihre Lehre weiterentwickeln?
Die durch Covid-19 erfolgte Turbodigitalisierung hat bewirkt, dass ich nicht nur mit einer neuen didaktischen Brille auf meine Lehre blicken musste, sondern dass ich durch den Einsatz von E-Prüfungen im Kontext von formativen Prüfungen ingenieurwissenschaftlicher Methoden wertvolle neue Ansätze entdeckt habe. Letztendlich interessiert mich im Hinblick auf eine nachpandemische Zeit, was ich aus der digitalen Distanzlehre in meine Lehre übernehmen möchte, was ich übernehmen kann. Und vielleicht gelingt es der TH Köln, Rahmenbedingungen für eine hybride Lehre zu schaffen, in der sowohl Studierende als auch Lehrende gegenüber der vorpandemischen Zeit einen Mehrwert beim Lernen und Lehren erfahren.
April 2021