Warum der Ausbau der Windenergie in Deutschland zu langsam läuft
Die Stromerzeugung durch Windenergie spielt eine bedeutende Rolle für die Energiewende. Obwohl 2021 mehr Windkraft installiert wurde als im Vorjahr, reicht dies nicht für die Erreichung der Ausbauziele. Prof. Dr. Thorsten Schneiders vom Cologne Institute for Renewable Energy (CIRE) spricht im Interview über die Gründe dafür und die mit dem Ausbau verbundenen Hürden.
Prof. Schneiders, trotz erhöhten Zubaus im vergangenen Jahr ist das Tempo beim Windkraft-Ausbau für Politik und Branchenverbände zu langsam. Warum?
Im Gesamtjahr 2021 wurden in Deutschland 484 Onshore-Windenergie-Anlagen – also Anlagen an Land – mit einer Gesamtleistung von 1.925 Megawatt installiert. Zum Vergleich: 2020 waren es 420 Anlagen mit 1431 Megawatt, es wurde also 35 Prozent mehr Leistung installiert als im Vorjahr. Das stimmt natürlich erst einmal zuversichtlich, bei genauerer Betrachtung reicht dieser Zubau allerdings nicht aus, um die Klimaziele der Bundesregierung einzuhalten und dem wachsenden Bedarf an klimaneutraler Energie gerecht zu werden.
Wie lauten diese Ziele und warum sind sie gefährdet?
Kumuliert gibt es derzeit mehr als 28.000 Onshore-Windanlagen mit einer Gesamtleistung von 56.100 Megawatt in Deutschland. Die Ausbauziele nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, sehen bis 2030 rund 71.000 Megawatt an Land vor. In den nächsten Jahren werden aber auch immer mehr Windparks aufgrund ihres Alters abgeschaltet. Dadurch entsteht ein Mehrbedarf, dem nur schleppend nachgekommen wird. Die Dauer von Genehmigungsverfahren für Windanlagen beträgt derzeit etwa vier bis sechs Jahre. Aktuell hängen deshalb rund 10.000 Megawatt in Verfahren fest. Das gefährdet die Ziele des EEG.
Warum benötigen Genehmigungsverfahren so viel Vorlaufzeit?
Der Prozess auf dem Weg zum Windpark ist aufwendig. Zunächst müssen Projektplanerinnen und -planer verfügbare Flächen finden. Zwar sollen zwei Prozent der deutschen Flächen für Windenergie zur Verfügung gestellt werden, in der Realität sind es aber deutlich weniger. Das liegt an komplexen Normen und Richtlinien: Zum Beispiel gibt es eine pauschale Vorgabe von 1.000 Metern Abstand zu Wohngebäuden. Zu Wetterradaren sowie militärischen Anlagen müssen zwischen zehn und 15 Kilometer Abstand gehalten werden und selbstverständlich muss auch der Natur- und Artenschutz beachtet werden. Dadurch entfällt sehr viel geeignete Fläche: Allein durch Probleme mit Radar- und militärische Anlagen werden derzeit Projekte im Gesamtumfang von rund 7.000 Megawatt blockiert.
Wie geht es dann weiter, wenn trotzdem verfügbare Flächen gefunden sind?
Projektplanerinnen und -planer müssen sich dann um Förderung durch das EEG bewerben. Das funktioniert durch die Teilnahme an einer Ausschreibung, die in Form eines Bieterverfahrens stattfindet. Um mitbieten zu können, sind umfangreiche Vorarbeiten erforderlich: die Freigabe der Flächen durch die Kommune, eine Analyse des Windvorkommens, eine Auswahl passender Windturbinen, Immissionsgutachten – etwa zu Lärm und Schattenwurf. All das müssen Bewerberinnen und Bewerber in Vorleistung erbringen – ohne sicher zu wissen, dass man den Zuschlag am Ende erhält. Das ist ein hohes Risiko.
Wie will die Bundesregierung den Ausbau vereinfachen?
Es sollen kurzfristig weitere Flächenpotentiale erschlossen werden. So ist zum Beispiel geplant, die Abstände zu Radar- und militärischen Anlagen zu reduzieren und die dadurch bisher blockierte Leistung zugänglich zu machen. Zudem ist geplant, den Windenergieausbau in besseren Einklang mit dem Natur- und Artenschutz zu bringen und die Voraussetzungen für zügigere Planungs- und Genehmigungsverfahren zu schaffen. In einem neuen Wind-an-Land-Gesetz sollen diese Überlegungen festgeschrieben werden. Darauf bin ich sehr gespannt.
Welche weiteren Möglichkeiten sehen Sie, um Planung und Genehmigung zu erleichtern?
Es wäre sicher sinnvoll, wenn die vorbereitende Planung von der jeweiligen Kommune geleistet würde. Diese kann so genannte ,Windvorranggebiete‘ ausweisen. Dabei könnte eine zentrale beratende Stelle des Landes unterstützen. Darüber hinaus gibt es Lösungen wie Vogelerfassungssysteme, bei denen eine künstliche Intelligenz Vögel frühzeitig erfasst und Rotoren abschaltet. Das ist technisch zwar möglich, rechtlich ist so etwas aber noch nicht zugelassen. Zudem muss weiter an der Erhöhung der Akzeptanz gearbeitet werden.
Wie vermitteln Sie das komplexe Thema Windkraft-Ausbau in der Lehre?
In den Fächern ,Windparkplanung‘ und ,Windenergie‘, die in unserem Bachelorstudiengang ,Erneuerbare Energien‘ angeboten werden, erhalten Studierende über die Technologie der Windkraft hinaus vielfältige Einblicke in die Bereiche Energiepolitik, Gesetze und Richtlinien. Sie erarbeiten unter Einbindung von Fachexpertinnen und -experten ein Konzept zur Planung eines Windparks in Deutschland. Dabei müssen sie auf grundlegende ingenieur- und naturwissenschaftliche Grundlagen zurückgreifen, aber auch mit juristischen Fragestellungen arbeiten. Das ist vor allem am Anfang nicht immer ganz leicht, aber im Laufe des Semesters erkennt man eine deutlich zunehmende Kompetenz der Studierenden in allen Bereichen – ein Beleg dafür, wie wichtig interdisziplinäre Arbeit im Projektteam ist. Und einige unserer Studierenden und Absolvent*innen arbeiten als Projektingenieurinnen und -ingenieure im Bereich Windenergie.
Darüber hinaus haben wir kürzlich das interdisziplinäre Forschungsprojekt ,Meine Energiewende‘ gestartet, wo wir mit modernen Kommunikationsmitteln wie Virtual Reality die Akzeptanz für die Energiewende verbessern wollen.
Februar 2022