Ein Artikel aus dem Hochschulmagazin inside out #60 (2022)

Hände Mensch/KI (Bild: lassedesignen/AdobeStock.com)

Kolleg*in Roboter. Freund*in Roboter?

An Roboter in der Industrie sind wir gewöhnt, aber humanoide Roboter sind im Arbeitsalltag noch nicht angekommen. Sollten sie das? Für Prof. Dr. Anja Richert, Leiterin des Cologne Cobots Lab, steckt in der Mensch-Maschine-Interaktion viel Potenzial für ein besseres Leben.

Ein dementer Mensch erzählt einem Roboter die immer gleiche Geschichte. Zehnmal, hundertmal. Der Roboter reagiert immer gleich: geduldig, aufmerksam, ruhig. Entnervte Seufzer entfahren ihm nicht, und er tippt auch nicht auf seine Armbanduhr, um zu zeigen, dass er gleich doch mal wegmuss. Es gibt alte Menschen, die durch die Kommunikation mit Robotern wieder Zugang zur Sprache gefunden haben. „Das liegt wohl daran, dass die Menschen nicht den emotionalen Druck verspüren, die richtigen Worte zu finden, wie bei einem menschlichen Gegenüber“, sagt Prof. Dr. Anja Richert, Direktorin des Instituts für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik und Expertin für Soziale Robotik.

Das Beispiel klingt vielversprechend. Künstliche Intelligenz, die mehr ist als ein praktischer Helfer im Alltag. „KI ermöglicht soziale Interaktion zwischen Mensch und Maschine“, sagt Prof. Richert. Technisch möglich ist schon heute vieles. Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass KI-Kuscheltiere, wenn sie gestreichelt werden, mittels Sensorik auf ihren menschlichen Freund reagieren. Die Stoffkatzen oder Plüschrobben hatten aufgrund der Wärme, die sie abgeben, tatsächlich eine messbare beruhigende Wirkung auf die Person.

Steckt in KI also mehr Potenzial für ein besseres Leben, als man denken mag? Lässt sich das ungute Gefühl, wenn menschliche Qualitäten durch einen Algorithmus ersetzt werden, durchaus abschütteln? „Die entscheidende Frage ist: Wo ist der Benefit?“, sagt Prof. Richert. Eine Frage, die je nach Anwendungsbereich ganz unterschiedlich betrachtet werden muss.

Bei Technikbegeisterten wie ihr selbst und ihren Studierenden können angesichts der Möglichkeiten schon mal vor Begeisterung die Pferde durchgehen, räumt Prof. Richert ein. Nur muss dann die immer gleiche Frage zwischengeschoben werden: Wie sieht die Akzeptanz aus? Was wollen eigentlich die Menschen, die mit der KI im Alltag umgehen sollen? Und wovor haben sie Angst?

Frau (Bild: Frank Giesen)

KI ermöglicht soziale Interaktion zwischen Mensch und Maschine.”

Dr. Anja Richert ist Professorin für Innovationsmanagement und Direktorin des Instituts für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik sowie Mitinitiato- rin des interdisziplinär aufgestellten Cologne Cobots Lab.


Häufigster Einsatzbereich von KI ist bislang die Industrie. Roboter, die entlang einer Fertigungsstraße Autoteile zusammensetzen, sind schon lange ein vertrautes Bild. Kollaborative Arbeitsplätze, an denen der Roboter zum Kollegen des Menschen wird, sind dagegen eine noch recht junge Entwicklung, die sich aber stark ausbreitet. Arbeiterinnen und Arbeiter müssen im Idealfall nicht mehr über Kopf arbeiten, große Gewichte schleppen, Werkzeuge wechseln. Der Roboter ermöglicht ergonomischeres Arbeiten. Aber das habe eben auch gravierende Nachteile, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin: „Das Tempo der Produktion ist weitaus geringer als in einer vollautomatisierten Fertigungsstraße. Und die Produktionsplanung ist viel komplizierter, aufwendiger.“ Dort allerdings, wo eher kleine Serien produziert, eher individuelle Vorgaben erfüllt werden müssen, hat die Hand-in-Hand-Arbeit von Mensch und Maschine ihren Sinn – und die Akzeptanz ist hoch.

Der zweithäufigste Einsatzbereich von KI ist schon heute die Pflege. Und da stellen sich die Fragen nach der Akzeptanz ganz anders. Anders auch, als sich Entwicklerinnen und Entwickler das bisweilen vorstellen. KI, so beispielsweise eine Idee, könnte kontrollieren, ob Menschen genug getrunken oder ihre Tabletten eingenommen haben. Eine wertvolle Entlastung für das Personal in Pflegeeinrichtungen und nicht zuletzt auch für pflegende Angehörige. Die Nutzerinnen und Nutzer selbst fragen aber oft nach ganz anderen Dingen, hat Prof. Richert erlebt: „Sie fragen: Kann der Roboter mit mir singen? Mit mir reden? Kann er in den Kühlschrank gucken und mir ein Rezept dafür vorschlagen, was ich kochen könnte?“

Nicht selten ist die Reaktion auf KI in der Pflege oder persönlichen Betreuung zwiegespalten. Umso mehr, je persönlicher, intimer die Angelegenheit wird. Soll ein Roboter einen Menschen waschen? Viele lehnen das ab, weil sie eine Maschine nicht so nah an sich heranlassen wollen. Andere wieder würden sich über diese Möglichkeit freuen, weil es ihnen unangenehm ist, diese Tätigkeit Angehörigen zuzumuten. Bei etwa einer Million pflegender Angehöriger in Deutschland ein gewichtiger Punkt.

Rein technisch gesehen wird der Körperpflege- Roboter irgendwann möglich sein. So, wie auch andere Möglichkeiten im Gesundheitsbereich immer weiter zunehmen – nicht zuletzt die KI-gestützte Selbstoptimierung. Angefangen bei der Smartwatch, dem Fitnessarmband, bis hin zu Implantaten unter der Haut oder KI-gesteuerten Prothesen und Orthesen. Prof. Richert erwartet in den nächsten Jahren noch gewaltige Entwicklungen in diesem Bereich. Technisch ginge vieles. Aber es stellen sich eben Fragen der Ethik, der individuellen und der gesellschaftlichen Akzeptanz. Gerade deshalb freut sich die Wissenschaftlerin besonders, dass heute sehr viele Studierende nicht nur die Begeisterung für die Technik, sondern auch ein Bewusstsein für diese übergreifenden Fragen mitbringen: „Das sind häufig sehr verantwortlich agierende und ganzheitlich denkende Menschen.“

Ein Artikel aus dem Hochschulmagazin inside out #60 (2022)


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