Maximal flexibel
Spitzensportlerinnen und -sportler wünschen sich im Studium maximale Flexibilität. Warum dies organisatorisch nicht immer möglich ist und wie die Hochschule dennoch versucht, die Athletinnen und Athleten in ihrem Studium zu unterstützen, erzählt Sebastian Meusel von der Zentralen Studienberatung. Als Beauftragter für den Spitzensport sucht er den engen Austausch mit den Studierenden.
Dieses Interview wurde Anfang des Jahres 2020 geführt und berücksichtigt daher nicht die Situation, wie sie sich für die Studierenden und SpitzensportlerInnen in Folge der Corona-Pandemie darstellt.
Wie sportlich ist unsere Hochschule?
Im Sinne von: wie viele Leistungssportlerinnen und -sportler bei uns studieren oder studiert haben? Das ist leider schwer zu sagen. Zum einen, weil wir erst seit eineinhalb Jahren in dieser intensiven Form die Spitzensportlerinnen und -sportler betreuen. Außerdem bewerben sich nur die wenigsten über die Spitzensportlerquote, um einen Studienplatz zu bekommen. Die meisten erhalten ihren Studienplatz ganz regulär aufgrund ihrer Note, ohne dass wir bei ihrer Einschreibung von ihrem Kaderstatus erfahren. Wir haben zwar eine sehr gute Kommunikation zum Olympiastützpunkt Rheinland, deren Listen sind aber auch nicht immer vollständig. Wir wissen es also nicht mit Gewissheit.
Und mit wie vielen Leistungssportlerinnenund -sportlern haben Sie Kontakt?
Ich habe zu 15 Alumni Kontakt und zu 16 Studierenden. Außerdem zu 25 Studieninteressierten. Die Sportlerinnen und Sportler zu finden und mit ihnen Kontakt aufzunehmen war ein sehr intensiver Prozess.
Sind Studierende, die Leistungssport betreiben, anders drauf als ‚normale‘ Studierende?
Spitzensportlerinnen und -sportler sind extrem zielgerichtet, fokussiert und diszipliniert. So gehen sie auch ihr Studium an. Diese Mentalität ermöglicht es ihnen, Sport und Studium unter einen Hut zu bringen. Außerdem sind sie es gewohnt, auf Freizeit zu verzichten und auf viele Dinge, die das studentische Leben zwar ausmachen, aber auch vom Studieren ablenken können. Ihnen ist bewusst, dass sie später vom Sport nicht leben können, sofern sie nicht Trainerin oder Funktionär werden wollen. Denn abseits vom Fußball sind nur wenige Sportarten in Deutschland lukrativ, bzw. bieten ausreichend Möglichkeiten für hauptberufliche Tätigkeiten an. Deshalb gehen sie ihr Studium sehr verantwortungsbewusst an.
Können Leistungssportlerinnen und -sportler demnach eine Vorbildfunktion für ihre Kommilitonen haben?
Das kommt immer darauf an, wie man Sport persönlich wahrnimmt. Ich glaube, die Mentalität im Leistungssport ist für jeden Studiengang ein Mehrwert. Genauso wie es von Vorteil ist, mit Kommilitonen zu studieren, die bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, aus einer anderen Kultur kommen oder beeinträchtigt sind. Sie sind ein Teil der Diversität, die den Studierendenalltag so interessant und wertvoll macht.
Was sind für die Sportlerinnen und Sportler die wichtigsten Punkte, um sich für ein Studium an der TH zu entscheiden – abgesehen vom Studiengang?
Der Studiengang ist tatsächlich ausschlaggebend. Ansonsten benötigen sie ein Maximum an Flexibilität. Genau wie die meisten anderen Studieninteressierten haben sie vor dem Studium kaum eine Vorstellung davon, wie Studieren abläuft, was verpflichtend ist und in welchem Maß. Was bedeutet Vollzeitstudium, wie viele Tage in der Woche muss ich an der Hochschule sein? Neben diesen allgemeinen Informationen dreht sich dann das Gespräch aber sehr konkret darum, wie man die Fahrtzeiten zwischen Wohnort, Hochschule und Trainingsort und die wöchentlichen Trainingsumfänge mit Präsenzzeiten und Prüfungszeiträumen an der Hochschule unter einen Hut bringen kann. Außerdem geht für die meisten der Spitzensportlerinnen und -sportler, die sich für ein Studium interessieren oder bei uns jetzt ein Studium begonnen haben, der Hochleistungssport erst so richtig los: raus aus dem Jugendbereich, hin zu den Erwachsenen. Was noch mal andere zeitliche Trainingsumfänge bedeutet. Von ihnen wird den ganzen Tag Sport gefordert. Daher fragen mich einige in der Beratung, ob sie mit zwei Stunden pro Woche, die sie freischaufeln können, nebenher studieren können.
Und können sie das?
Naja, wir versuchen auch in solchen Fällen mit der Fachstudienberatung immer etwas möglich zu machen, damit die Sportlerinnen und Sportler wenigstens einen Fuß in die Tür bekommen. Beispielsweise über eine Grundlagenveranstaltung im ersten Semester.
Und wie finanzieren sie sich?
Das ist von vielen Faktoren abhängig, beispielsweise der Sportart. In der Leichtathletik werden Siegprämien vergeben, im Turnsport nicht. Je medial attraktiver eine Sportart ist, um so bessere Chancen hat man bei Sponsoren – natürlich auch abhängig vom eigenen Leistungsniveau und der Kaderzugehörigkeit. Weitere Faktoren sind unter anderem, ob man in einer großen oder eher kleinen Stadt lebt, wie die Eltern und die Heimatvereine finanziell unterstützen können oder ob sie eine Sportförderung erhalten. Ob die Studierenden BAföG erhalten können, hängt auch wieder von vielen Faktoren ab. Aktuell können sich übrigens Kaderathletinnen und -athleten bei uns an der Hochschule auf zwei Plätze des Deutschlandstipendiums bewerben, die die deutsche Sportstiftung NRW vergibt.
Wie kann die Hochschule den Studierenden beim Thema Flexibilität entgegenkommen?
Wenn die Sportlerinnen und Sportler international unterwegs sind, sich also auf Europa- oder Weltmeisterschaften und im Bestfall die Olympischen Spiele vorbereiten, haben sie häufiger im Jahr mehrwöchige Trainingslager. Das sehen viele Dozentinnen und Dozenten kritisch – mehrere Wochen ohne Lehrstoff bedeutet eigentlich, dass sich die Studierenden nicht für eine Prüfung anmelden können. Hier suchen wir im Gespräch mit den Lehrenden nach Möglichkeiten von Ersatzleistungen, oder dass sie von der Anwesenheitspflicht befreit werden und sich den Prüfungsstoff selber aneignen können – unter Umständen sind E-Learning-Materialien hilfreich. Viele der Studierenden ziehen aber ihr Vollzeitstudium trotz eines wöchentlichen Trainingsumfangs von zehn oder mehr Stunden in der Regelstudienzeit durch. Ein gutes Beispiel für ein Entgegenkommen der Hochschule ist die Kurswahl im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit. Hier können die Kaderathletinnen und -athleten zusammen mit den Teilzeitstudierenden zeitlich vor den Vollzeitstudierenden ihre Kurse wählen.
Aber ihre Prüfungen müssen sie schon noch an der Hochschule schreiben?
Bisher hatten wir diese Situation noch nicht. An anderen Hochschulen gibt es Regelungen während internationaler Wettkämpfe: Dort unterschreibt der Trainer oder die Trainerin, dass sie die Aufsichtspfl icht übernehmen und gewährleisten, dass die Studierenden die Klausur ohne Spickzettel schreiben. Die Klausuren werden dann über den Trainerstab an die Hochschulen weitergeleitet. Aber das sind individuelle Entscheidungen, die mit der jeweiligen Fachstudiengangsleitung getroffen werden müssen.
Besteht eine Möglichkeit von Seiten der Hochschule, allgemeine Regelungen zu treffen?
Wir wollen tatsächlich versuchen, eine einheitliche Basis zu finden. Das wird aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an Prüfungsleistungen in den Studiengängen erst einmal nicht so einfach sein. Uns fehlen offen gesagt noch die Erfahrungswerte, da wir die Betreuung unserer Spitzensportlerinnen und -sportler erst seit eineinhalb Jahren in dieser Form angehen. Wir müssen jetzt also die Einzelfälle sammeln und analysieren. Dabei ist vor allem der trilaterale Austausch mit den Lehrenden und den Studierenden hilfreich.
Was halten Dozentinnen und Dozenten davon, wenn Studierende Leistungssport und Studium vereinbaren wollen?
Viele haben Respekt vor der Doppelbelastung, die die Studierenden auf sich nehmen. Es gibt aber auch ein paar Skeptiker, die zum Beispiel eine Teilnahme an den Olympischen Spielen als „Freizeitbeschäftigung“ ansehen und kein Verständnis zeigen, dass die Studierenden alles versuchen, um trotzdem parallel zum Spitzensport so fokussiert und erfolgreich wie nur möglich zu studieren.
Was wünschen Sie sich perspektivisch für Ihre Arbeit?
Ich möchte gerne in der Beratung gezielter Sportlerinnen und Sportler adressieren. Die Laufbahnberater von den Olympiastützpunkten erzählen häufig, dass sich die meisten Sportlerinnen und Sportler einfach für ein Lehramtsstudium entscheiden, weil sie dann Sport als Fach belegen können. Oder ein Sportstudium verfolgen, weil etwas anderes „eh nicht passen würde“. Hier würde ich gerne mehr Aufklärungsarbeit betreiben. Außerdem verpassen die meisten Kaderathletinnen und -athleten die Berufsorientierungsprogramme an den Schulen, weil sie zu diesen Zeiten häufi g trainieren. Deshalb haben viele von ihnen kaum Möglichkeiten, sich intensiv mit den Fragen rund ums Studium auseinanderzusetzen. Ich möchte gerne an die NRW-Sportschulen, Elitesportschulen und Internate gehen, um mit den Leuten darüber zu sprechen, wo sie beruflich ihre Perspektiven und Chancen sehen.
Mit Leistungskader bezeichnen die Sportverbände die verschiedenen Gruppen, in denen Sportlerinnen und Sportler durch die Bundes- und Landesverbände gefördert werden. Dabei wird unterschieden nach Altersklassen und Leistungsniveaus. Im A-Kader werden Sportlerinnen und Sportler perspektivisch vorbereitet für eine Teilnahme an den nächsten Olympischen Spielen bzw. sie haben bei den letzten Olympischen Spielen/Weltmeisterschaften eine Platzierung im Endkampf erreicht. Der B-Kader ist der sogenannte Perspektiv- bzw. Ergänzungskader und wird je nach Sportart unterschiedlich definiert: In der Regel wird hier das Kontingent des Nationalteams aufgefüllt, um zusammen mit dem A-Kader die doppelte Anzahl der Startplätze bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften zu füllen. Die Kader C und D werden auch als Nachwuchskader 1 und 2 bezeichnet. |
Interview: Monika Probst
Juli 2020