Hoch hinaus
Unsere Hochschule unterstützt Gründerinnen und Gründer bereits während des Studiums. Zwei Start-ups, die mit ungewöhnlichen Ideen auf sich aufmerksam machen und über die Programme "EXIST-Forschungstransfer" und "START-UP-Hochschul-Ausgründungen NRW" gefördert werden.
Wer wäre nicht gerne sein eigener Chef? Mit einer innovativen Idee fällt der Schritt in die Selbstständigkeit leichter – doch wer hoch hinaus will braucht neben einem überzeugenden Geschäftsmodell verlässliche Partner, Leidenschaft und Ausdauer.
ElasticVision
„Brillengläser und Standardbrillenrahmen werden seit den 1950er Jahren auf die gleiche Weise verbunden. Dieses Verfahren wollen wir revolutionieren und neue Qualitätsmaßstäbe setzen.“
Mit diesem hochgesteckten Ziel gehen Carina Kühl, Christian Pöpperl und David Frings in die Gründung ihres Unternehmens „ElasticVision”. Traditionell wird in den Rand des Brillenglases eine dreieckige Form gefräst, die sogenannte Facette. Diese passt zu einer Vertiefung in der Brillenfassung, der Nut. Doch Glas und Fassung sind starr und stimmen deshalb nie exakt überein. So entstehen Spannungen im Glas, die die Brillenqualität senken und das Bruchrisiko erhöhen können.
„Bei unserer Produktionsmethode tragen wir auf den Glasrand einen dünnen Strang auf, der die klassische Facette ersetzt. Dieser Kunststoffstrang passt sich der Nut in der Brillenfassung optimal an. So entsteht eine sichere, aber auch elastische Verbindung der beiden Teile. Damit steigern wir die Qualität und senken Produktionskosten entscheidend“, sagt Pöpperl.
Ende 2018 möchte das Gründerteam die ersten Maschinen auf den Markt bringen. Bis dahin entwickeln sie den Prototypen zur Serienreife und bauen die Unternehmensstruktur sowie die internen Prozesse auf. Die Grundlagen der Firmengründung legten Christian Pöpperl und David Frings bereits vor fünf Jahren im Forschungsprojekt „New Edging Technology“ von Prof. Dr. Jörg Luderich, der das Team heute als Mentor unterstützt.
„Wir haben in dieser Zeit eng mit der Industrie zusammengearbeitet und auf Optik-Messen mit Fachleuten über unsere Idee gesprochen. Zum Projektende hatten wir dann das Gefühl: Das ist ein Rohdiamant. Da steckt mehr drin“, so Pöpperl. Um die Ergebnisse aus dem Labor- in den Industriemaßstab zu heben, bewarb sich das Team beim Bundesprogramm EXISTForschungstransfer. Zu diesem Zeitpunkt stieg Carina Kühl ein und brachte das dringend benötigte betriebswirtschaftliche Know-how mit.
Nachhaltig, sozial und digital
Seit diesem Semester bietet die Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften eine Start-up-Beratung für ihre Studierenden an. Ein Interview mit Prof. Dr. Annette Blöcher und Lukas Gawlik.
Die Zeit zwischen dem Ende des Forschungsprojektes 2014 und dem Beginn der EXIST-Förderung bedeutete für das Team eine große Belastungsprobe. „Bevor EXIST bewilligt wurde, gab es fast ein Jahr, in dem völlig unsicher war, ob es mit der Finanzierung klappt und sich die viele Arbeit rentiert. Es war nicht einfach, unsere Familien davon zu überzeugen, dass sich das Risiko lohnt“, erinnert sich Pöpperl. Diese private und finanzielle Unsicherheit habe deutlich schwerer gewogen, als alle technischen Probleme. „Natürlich zweifelt man die ganze Zeit, denn unsere Maschinen- und Dosiertechnik sowie der Umgang mit dem Kunststoff sind nicht einfach zu handhaben“, sagt Pöpperl. Aber man sei immer überzeugt gewesen, die technischen Probleme im Team lösen zu können.
Wenn der Businessplan für ElasticVision aufgeht, wird das Unternehmen fünf Jahre nach der Gründung einen Jahresumsatz im Millionenbereich machen. Die Weiterentwicklung der Maschine ist fest eingeplant und weitere Betätigungsfelder haben die Jungunternehmer im Blick: „Außerhalb der Augenoptik gibt es viele Anwendungen für unsere Technik. Im Präzisionsmaschinenbau werden wir auf jeden
Fall aktiv bleiben“, sagt Pöpperl.
Und er hat auch einen Rat an Studierende, die ebenfalls mit einem Start-up liebäugeln: „Man muss das wollen! Denn während der Gründung gibt es kein Easy Going. Man steht immer unter Strom. Hat man mal die Technik im Griff , brennt es an der anderen Ecke, dann geht das Geld aus – irgendwas ist immer. Ganz wichtig ist gerade am Anfang die Einbindung in die Hochschule. Gründungserfahrene Professoren, das Referat für Forschungs- und Wissenstransfer aber auch das Präsidium selbst geben wichtige Hilfestellung.”
APEC Visual
Ein Kleid aus Edelstahl oder ein Waschbecken aus Seide? Tobias Bayer, Sebastian Kalkhoff und Gabriel Schmitz haben eine Technologie entwickelt, um Materialoberflächen digital nachzubilden.
Damit können 3D-Artists, Spielentwickler oder Produktdesigner fotorealistische Bilder herstellen – und das schneller und einfacher als bisher.
Die Innovation der drei Ingenieure vom Institut für Medien- und Phototechnik basiert auf den physikalischen Gesetzen, nach denen sich Licht verhält, wenn es auf eine Oberfläche trifft. „Wir scannen die Oberfläche des gewünschten Materials. Dadurch ermitteln wir seine optischen Eigenschaften individuell für jeden Punkt. Dazu gehören etwa Farbe, Glanz und Oberflächenstruktur. So generieren wir Datensätze, die jeder Anwender sofort nutzen kann“, erklärt Tobias Bayer.
Pro Material benötigen sie dabei eine Bearbeitungszeit von maximal zehn Minuten und erzeugen Dateien von rund 25 Megabyte Größe. Eine deutliche Verbesserung der bisherigen Scanner, die bis zu acht Stunden pro Oberfläche rechnen und mehrere Gigabyte Daten produzieren. Alternativen wie die Erstellung per Bildbearbeitungsprogramm dauern immer noch rund drei Stunden pro Werkstoff.
Mit dieser Idee gründen die drei Ingenieure jetzt das Unternehmen APEC Visual. Für ihre Kunden wollen sie eine Datenbank mit diversen Materialoberflächen bereithalten oder Auftragsarbeiten durchführen. Ihre Zielgruppe: alle Branchen, die fotorealistische 3D-Modelle erstellen, etwa Designer, Architekten, Spielehersteller oder Modemacher.
Die Ursprünge der Idee liegen im Projekt Realtex unter Leitung von Prof. Dr. Arnulph Fuhrmann, dem heutigen Mentor der Gründer. Bis Mitte 2015 entwickelte die Gruppe dabei eine Technologie zum Scan von Textilien. „Wie groß unser technischer Fortschritt ist, wurde uns bei den ersten Tests klar. Wir haben einen alten Jutebeutel erfasst und mit einem Foto des Beutels verglichen. Die beiden Bilder waren kaum zu unterscheiden und jedes kleine Detail war sichtbar“, erzählt Sebastian Kalkhoff.
Bis Mitte 2018 schreiben die drei Entwickler eine neue Grundsoftware, verfeinern ihren Businessplan und bauen die Unternehmensstrukturen auf. Zudem soll ein neuer, größerer Scanner mit einer Scanfl äche von rund einem Quadratmeter entstehen. Zurzeit sind rund 20 mal 20 Zentimeter möglich.
„Die Entscheidung zur Gründung ist uns sehr leicht gefallen. Zum einen, weil wir einen großen Nutzen für viele Branchen sehen. Zum anderen, weil wir das machen können, was uns Spaß macht“, sagt Gabriel Schmitz. Manche Ideen kommen dabei unterwegs, ergänzt er. „Beim Sonntagsspaziergang mit meiner Frau habe ich lauter Materialien gesehen, die ich gerne digital umgesetzt hätte, aber nicht mit ins Labor nehmen kann. So kamen wir auf die Idee eines mobilen Scanners.“ Jetzt kann das APEC Visual-Team auch in der freien Natur neue Materialien erfassen. Und ein 3D-Designer bekommt die Chance, ein Kleid mit Asphalt-Oberfläche zu gestalten.
Text: Christian Sander
März 2017