Energiefresser Kryptowährung?
Der Energieverbrauch des Bitcoins ist im Jahr höher als der der Ukraine, so eine Analyse des Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index. Die Gründe dafür und ob diese Kennzahl überhaupt ein sinnvoller Vergleich ist, erklärt Prof. Dr. Marc Mehlhorn vom Schmalenbach Institut für Wirtschaftswissenschaften im Interview.
Prof. Mehlhorn, warum ist der Energieverbrauch des Bitcoins so hoch?
Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf Kryptowährungen allgemein werfen. Bei einer klassischen Finanztransaktion fließt das Geld einer Überweisung über eine Bank, die das Vertrauen spendet und sagt: Diese Überweisung hat stattgefunden. Bei Kryptowährung haben wir diese sogenannten Intermediäre nicht, sondern müssen der Technologie Blockchain vertrauen – eine Liste von Datensätzen in einzelnen Blöcken. Valide Transaktionen fügen der der Blockchain einen Block hinzu. Aber wer verifiziert die Validität, wenn es keine Bank gibt?
Dafür gibt es zwei sogenannte Konsensmechanismen: den Proof of Work und den Proof of Stake Ansatz. Beim Proof of Work erhalten die „nodes“ genannten zentralen Nutzer des Krypto-Netzwerks eine exakte Kopie der Blockchain. Zur Verifizierung der Transaktion, die diesen Datensatz erweitert, müssen sie spezielle „mining nodes“ – komplexe kryptographische Rätsel – lösen. Wem dies zuerst gelingt, der darf entscheiden, ob die Transaktion valide ist und damit ein neuer Block angehängt wird. Und da alle nodes mit ihrer Rechenleistung gleichzeitig versuchen, die Aufgabe zu lösen, ist das ausgesprochen energieintensiv. Proof of Stake heißt, dass die nodes mit den meisten Kryptowährungen entscheiden, welcher Block angehängt wird. Da Kryptowährungen aber ursprünglich möglichst dezentral sein sollten, verwenden viele Blockchains den Proof of Work, was aber extrem ineffizient ist.
Auf welcher Basis erfolgt diese Bewertung und wie lange dauert es, bis so ein Rechenprozess abgeschlossen ist?
In beiden Ansätzen erfolgt die Bewertung einer Transaktion über einen Algorithmus in den Rechnersystemen der nodes. Dieser prüft etwa, ob das verfügbare Guthaben in der jeweiligen Kryptowährung überhaupt ausreicht oder wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Hackerangriffs ist. Die allermeisten Transaktionen gelten als valide.
Die Transaktionsdauer ist je nach Kryptowährung sehr unterschiedlich und dann besonders hoch, wenn beim Proof of Work alle nodes gefragt sind. Die genaue Dauer hängt zum Beispiel von der Anzahl der zeitgleich getätigten Transaktionen ab. Ethereum zum Beispiel schafft derzeit zwölf Transaktionen pro Sekunde. Das ist sehr wenig und so kann es passieren, dass getätigte Transaktionen mehrere Minuten benötigen, bis sie validiert sind. Verglichen mit Börsentransaktionen ist das schon sehr, sehr langsam.
Ist der Energieeinsatz für die Produktion neuer Bitcoins – das sogenannte mining – durch den erzeugten Gegenwert gerechtfertigt?
Der Begriff des minings kommt ja aus dem Bergbau. Und in einer Studie wurde genau dieser Vergleich angestellt: Wie hoch ist der Energiebedarf für das Schürfen anderer Rohstoffe wie Gold in Relation zur Produktion neuer Bitcoins? Das passt insofern ganz gut, weil auch Gold wie der Bitcoin eine große Marktkapitalisierung hat, ein Spekulationsobjekt ist und viele Ressourcen in der Produktion benötigt. Der Vergleich scheint mir sinnvoller als der mit dem Energieverbrauch von Ländern. Und da sehen wir, dass der Produktionsprozess des Bitcoins bis zum Gegenwert von 1 $ deutlich energieaufwändiger ist als der von Kupfer, Gold, Platin oder seltenen Erden – ebenfalls bezogen auf den Gegenwert von 1 $. Die Herstellung von Aluminium ist relativ zum Bitcoin jedoch noch energieintensiver.
Warum nehmen wir die vielen Nachteile von Kryptowährungen in Kauf?
Mit Blockchain probieren wir im Moment eine Technologie aus, die eventuell in einigen Jahren Prozesse in der Wirtschaft deutlich effizienter gestalten kann – und Kryptowährungen sind unser Anwendungsbeispiel. Wir investieren also in eine Zukunftsvision.
Zum anderen muss man den Nachteil, der gerade dem Bitcoin zugeschrieben wird, etwas relativieren. Eines vorweg: Natürlich ist diese Währung durch den Proof of Work ineffizient und verbraucht zu viel Energie – aber im Vergleich zu anderen Kryptowährungen im Proof of Work Ansatz ist sie tatsächlich sogar relativ effizient. Eine Studie aus dem Jahre 2020 zeigt den Bitcoin bei einem Marktanteil von 80 Prozent, während er zu diesem Zeitpunkt nur 70 Prozent der Energie aller Kryptowährungen verbraucht hat. Da gibt es deutlich schlechtere Alternativen wie zum Beispiel Monero mit 0,5 Prozent Marktanteil und 3,5 Prozent Energieverbrauch.
Sie haben gesagt, mit dem Bitcoin testen wir die Anwendbarkeit von Blockchain. Wie lange ist ein solcher Test angesichts des Energieverbrauchs zu rechtfertigen?
Beim Bitcoin ist die Innovationskraft tatsächlich weitgehend ausgeschöpft. Das liegt an seinem Protokoll, was man im Grunde nicht verändern kann und andere Anwendungen funktionieren in der Bitcoin-Blockchain nicht. Es gibt eine spezifisch definierte Anzahl an Coins, die in knapp 120 Jahren aufgebraucht sein wird. Daher ist die Währung langfristig vermutlich ein reines Spekulationsobjekt. Fälle wie El Salvador, die den Bitcoin zum offiziellen Zahlungsmittel gemacht haben, sind wohl Randerscheinungen.
Anders ist es bei Kryptowährungen wie Ethereum. Die sind im Vergleich zu ihrem Marktanteil auch recht energieeffizient und haben eine anpassbare Programmierung. Dadurch können weitere Anwendungen daran angedockt werden und man konnte in die Energieeffizienz investieren. Noch in diesem Jahr wird es bezogen auf die Ethereum-Blockchain ein großes Update mit weiteren Verbesserungen geben. Da steckt noch viel Potential für weitere Tests drin.
In den Markt werden in den nächsten Jahren noch weitere große Player einsteigen, wenn die Zentralbanken ihre eigenen Kryptowährungen emittieren. Konkrete Anwendungsfälle für die Menschen kommen also vermutlich in absehbarer Zeit und in Zusammenhang mit einer zentralen Institution wie den Zentralbanken.
Gibt es alternative Kryptowährungen, die weniger Energie benötigen?
Es gibt bereits heute sehr energieeffiziente Kryptowährungen wie Stellar oder Cardano, die den Proof of Stake-Ansatz dadurch optimiert haben, dass sie gar nicht mehr bei jeder Transaktion ermitteln, wer die meisten Einheiten hält, sondern zentrale Knotenpunkte definieren, die immer bezüglich valider Transaktionen entscheiden dürfen. Zudem kann man überlegen, ob ein hoher Energieverbrauch per se überhaupt ein Problem ist. Der Solar Coin ist beispielsweise so programmiert, dass Transaktionen nur stattfinden können, wenn die Energie aus Solaranlagen kommt. Wir könnten die Umweltproblematik bei künftigen Kryptowährungen also über die Programmierung und den zugelassenen Strommix deutlich abmildern.
Juni 2022