Ein Holz für den besonderen Klang
Das Kunsthandwerk des Geigen- und Bogenbaus gehört seit der Renaissance zur abendländischen Kultur. Doch in Zeiten globalisierter Märkte und knapper Ressourcen sind diese Nischenberufe bedroht. Geigenbauerin Silke Lichtenberg hat Energie- und Umweltmanagement studiert und sich am ITT mit der aktuellen Entwicklung dieser traditionsbewussten Branche beschäftigt.
Wie viel Nachhaltigkeit ist uns dieses Kulturgut wert?
Um den Klang berühmter Geigen und ihre Baumeister ranken sich Legenden. Noch heute gilt der Italiener Antonio Giacomo Stradivari als der wohl beste Geigenbauer der Geschichte. Für 11,6 Millionen Euro wechselte seine Violine Lady Blunt vor fünf Jahren ihren Besitzer – das ist Rekord. Teure Geigen werden von Konzernen als prestigeträchtiges Investment bewertet. Weit weniger öffentliche Beachtung findet dagegen der Streichgegenstand, der einer Violine ihre Töne entlockt: der Bogen.
Der Violinist Giovanni Battista Viotti prägte den Leitspruch "Die Geige, das ist der Bogen". Auch hier gibt es qualitativ große Unterschiede. In der Fachwelt der Musiker und Bogenbauer überwiegt die Meinung, dass die besten Bögen nur aus einem Material hergestellt werden können: Es ist das Holz des Fernambuk, auch Pau-Brasil genannt. Nur mit Hilfe des brasilianischen Nationalbaums würde eine Geige ihre warme Klangfarbe bekommen.
Nationalbaum vom Aussterben bedroht
"Dieser subjektive Eindruck ist allerdings stark beeinflusst durch unsere kulturgeschichtliche Tradition", sagt Silke Lichtenberg. Die Absolventin des Masterstudiengangs Environment and Resources Management am Institut für Technologie und Ressourcenmanagement in den Tropen und Subtropen (ITT) ist gelernte Geigenbauerin. Wenn sie Violine spielt, bevorzugt sie ebenfalls den Klang eines Bogens aus dem Tropenholz. In ihrer Masterthesis stellt sie aber diese oft formulierte Alternativlosigkeit in Frage. Denn in seinem natürlichen Verbreitungsgebiet im atlantischen Regenwald Brasiliens ist der Pau-Brasil, stark bedroht.
Die Schuld dafür tragen nicht die Musikerinnen und Musiker. Während der portugiesischen Kolonialisierung im 16. Jahrhundert war Pau-Brasil der wichtigste Rohstoff der brasilianischen Kolonie. Aus ihm wurden scharlach- und karmesinrote Farben gewonnen. Später mussten die Wälder erst den Zuckerrohrplantagen, dann der Papierindustrie weichen. Nur noch sieben Prozent der Waldfläche ist heute vorhanden. Deshalb ist der Pau-Brasil auf die Rote Liste gesetzt worden, und im Washingtoner Artenschutzabkommen, das den internationalen Handel bedrohter Tier- und Pfl anzenarten einschränken soll, in die Kategorie zwei aufgenommen worden. Das bedeutet hohe Auflagen für den Bogenbauer: Nur noch vor 2007 geschlagenes und zertifiziertes Holz darf verwendet werden.
Kostbares Holz, billige Produktion
In ihrer Masterthesis hat Silke Lichtenberg die kulturgeschichtliche Entwicklung des Geigen- und Bogenbaus mit der industriellen Entwicklung verknüpft und die heutige Vermarktungskette vom Angebot in Brasilien bis zu den Absatzmärkten in Europa, Asien und Nordamerika untersucht. Eigentlich sollte man meinen, dass die Preise für einen Geigenbogen durch die Sanktionen steigen müsste – mitnichten. Auf dem chinesischen und osteuropäischen Markt werden Bögen aus Fernambuk so günstig produziert, dass ein Anfängerbogen bereits für 120 Euro verkauft wird. Deutsche, teurere und hochwertigere Bogen sind deshalb zunehmend nur für semi- und professionelle Musiker interessant.
Silke Lichtenberg stellt die Frage, ob Kinder und Jugendliche für ihren Geigenunterricht nicht auch mit einem heimischen Holz oder mit Karbon vorlieb nehmen können. "Fernambuk sollte nicht mehr für die günstigen Bögen verwendet werden", fordert sie. Doch wenn das Tropenholz von Bogenbauern als qualitativ alternativlos bewertet wird – wie sie in ihrer Umfrage festgestellt hat – und gleichzeitig dieses kostbare Gut für wenig Geld in Massen verscherbelt wird, stellt sich die Frage: Zu wie viel Verzicht im Sinne der Nachhaltigkeit ist der Einzelne bereit? Kann Aufklärungsarbeit hier helfen?
"Jedes sozioökologische System durchläuft gewisse Phasen, aus denen wir Rückschlüsse ziehen können über kommende Entwicklungen", sagt die 32-Jährige. Und die könnten schlecht aussehen für Bogenbauer und Musiker: Wenn der Pau-Brasil weiter illegal abgeholzt wird und in die erste Kategorie des Washingtoner Artenschutzabkommens eingestuft werden sollte, dann müssen Profimusiker auf internationalen Tourneen auf ihre Fernambukbögen verzichten. Als Beispiel für die restriktiven Folgen, die die Stufe eins haben kann, nennt Silke Lichtenberg die Berliner Philharmoniker: Einige ihrer Bögen sind – wie seit Jahrhunderten üblich – mit einem kleinen Stück Elfenbein ausgestattet. Die Bögen wurden vom US-amerikanischen Zoll kassiert – die Streicher mussten bei ihrem Konzert in der Carnegie Hall in New York mit einfachen Karbonbögen vorlieb nehmen.
Traditionsberuf in Gefahr?
Für den traditionellen Bogenbau ist das eine Horrorvorstellung. Knapp 50 Bogenbauer gibt es in Deutschland. Sie sehen ihre Existenz bedroht. Angesichts der globalen Szenarien von Hunger, Krieg und Flucht eigentlich ein untergeordnetes Thema, oder etwa nicht? "Klar habe ich mehr als einmal gedacht, dass ich mich nicht mit einem existenziellen Thema auseinandersetze, mit denen wir uns am ITT eigentlich beschäftigen. Aber andererseits lässt sich mein Thema gut auf andere Nischenprobleme übertragen." Denn in ihrer Gesamtheit bilden diese vergleichsweise geringfügigen Probleme und Thematiken die kleinen Rädchen in einem vielschichtigen und vielseitigen Getriebe, sowohl beim Umweltschutz als auch bei der kulturellen Identität.
Von Musikern und Geigenbauern initiiert, gibt es mittlerweile Wiederaufforstungsprogramme, um auch in Zukunft Fernambuk kommerziell nutzen zu können. Silke Lichtenberg, die für ihre Masterthesis mit dem ersten Preis des ITT für die beste Jahrgangs-Abschlussarbeit ausgezeichnet wurde, überlegt gerade, das Thema in einer Promotion weiter zu verfolgen. Ihre Erkenntnisse zum Pau-Brasil-Bogenbau möchte sie mit der Verwendung des ebenfalls gefährdeten Ebenholzes im Geigenbau vergleichen. "Möglicherweise gibt es hier Parallelen zur Situation auf Madagaskar, wo das Ebenholz geschlagen wird."
Text: Monika Probst
Februar 2016