Gemischte Gefühle
Student*in an der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften: Die Online-Lehre erfüllt mir viele Wünsche, die wohl ohne diese Krise in den nächsten Jahren nicht umgesetzt worden wären. Weniger Reizeinflüsse wie Lautstärke oder überbordende Sozialkontakte sind als Autist sehr angenehm. Aber mittlerweile habe sogar ich den Punkt erreicht, wo ich Studienfreunde einfach nur umarmen möchte.
Das Studium bedeutet für jeden etwas anderes. Für manche ein Pflichtprogramm im Lebenslauf, eine Notwendigkeit für den späteren Traumberuf, eine Aufstiegschance, Raum für die persönliche Entwicklung, Selbstfindung und für die allermeisten eine Herausforderung. Für mich ist es von allem ein bisschen und vor allem mein Traum, für den ich lange gearbeitet habe. Für viele Studierende ist ihr Studium nicht selbstverständlich, und der Grad an Herausforderung sehr unterschiedlich. Für mich als chronisch kranke Person und zusätzlich im Autismusspektrum, war bereits der Weg dorthin oft sehr herausfordernd. Und gerade als ich glaubte, mich im Studium zurecht gefunden zu haben, kommt alles anders.
Online-Lehre erfüllt mir viele Wünsche
Die CoVid-19-Pandemie wurde von allen sehr unterschiedlich wahrgenommen, und sogar ich als Einzelperson habe sehr gemischte Gefühle. Die Online-Lehre z.B. erfüllt mir viele Wünsche, die wohl ohne diese Krise in den nächsten Jahren nicht umgesetzt worden wären. Weniger Reizeinflüsse wie Lautstärke oder überbordende Sozialkontakte sind als Autist sehr angenehm. Die Option dazu ist großartig und bietet mir vor allem auch die Möglichkeit, mein Studium mehr an meine Arbeit, meine Erkrankungen und die damit einhergehende Ausfallzeiten anzupassen.
Aber Online-Seminare sind auch sehr anstrengend, nach ein paar Tagen Online-Studium wollte ich nur noch weg von technischen Endgeräten. Die Aufmerksamkeitsspanne schwindet, langes Sitzen und schlechte Internetverbindung treiben einen in den Wahnsinn, und meine eingeschränkte Sicht führt nicht selten zu Kopfschmerzen und Frustration.
Austausch und Struktur fehlt
Und es fehlt der Austausch und Struktur. Mir Themen selbst zu erarbeiten, mochte ich eigentlich schon immer, aber nun ist ein Diskurs darüber kaum noch möglich, und die Informationen scheinen ohne das "Drumherum" meiner Seminare wieder aus meinem Kopf zu fallen. Kritische Auseinandersetzungen gerade auch mit Dozierenden und Kommilitonen sind für mich ein Kernelement der Geisteswissenschaften.
Mittlerweile habe sogar ich als Autist den Punkt erreicht, wo mir der gemeinsame Kaffee vor der Vorlesung fehlt und ich Freunde aus dem Studienumfeld einfach nur umarmen möchte. Und so sehr ich mir sage, dass ich ja für mich studiere – ich komme nicht umhin, meine Dozierenden und Kommilitonen, ja die gesamte Gemeinschaft der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften und der TH Köln als persönlichen Motor für meine Studienzeit anzuerkennen.
Trotzdem, so sehr ich auch auf eine baldige Entspannung der Lage hoffe, ich hoffe auch die TH behält die Online-Lehre zusätzlich bei und fügt beides klug zusammen, damit Studierende, egal ob mit Job, mit Kind, mit Beeinträchtigung und anderen Bedürfnissen auch in Zukunft ihr Studium individuell meistern und gestalten können.
Beim Mentoringprogramm Best Tandem unterstützen Studierende mit Beeinträchtigung ebenfalls beeinträchtigte StudienanfängerInnen. Nadine Sohn leitet das Programm. Sie hat bei den TeilnehmerInnen nachgefragt, wie sie das Studieren unter Corona-Bedingungen empfinden und sehr persönliche, differenzierte Antworten erhalten. |
August 2020