Baujahr 1901: Ältestes in Köln gebautes Automobil mit Verbrennungsmotor soll restauriert werden
Das älteste bekannte Automobil aus Kölner Produktion wird jetzt zum Forschungsgegenstand: Das Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften (CICS) und das Institut für Fahrzeugtechnik (IFK) der TH Köln untersuchen in Kooperation mit dem Kölnischen Stadtmuseum den 115 Jahre alten Vis-à-Vis-Motorwagen.
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Neben der Konservierung und Rekonstruktion in seinen ursprünglichen Zustand soll der Oldtimer wieder fahrbar gemacht werden. Ein weiteres Ziel des Forschungsprojekts ist die historische Aufarbeitung zur Bedeutung der Stadt Köln und seiner Region als Pionierstandort der Automobilentwicklung.
Der Vis-à-Vis-Motorwagen Typ A, Nummer 225, so benannt weil sich die Personen gegenüber sitzen, wurde 1901 in der in Köln-Sülz ansässigen Kölner Motorenfabrik hergestellt. Mit sechs PS Leistung war er bis zu 25 km/h schnell. Der Wagen hat ein Patent (Nummer 127753) auf seine riemenbetriebene Hinterachse. Durch die Last der auf der Rückbank platznehmenden Passagiere wird der Riemen unter Spannung gesetzt. 2011 hat das Kölnische Stadtmuseum das Automobil in seine Sammlung aufgenommen.
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Der Vis-á-Vis-Motorwagen Typ A, Nummer 225 wurde 1901 in der in Köln-Sülz ansässigen Kölner Motorenfabrik hergestellt. Er ist das älteste bekannte Automobil aus Kölner Produktion. (Bild: Heike Fischer/TH Köln)
Der Wagen hat ein Patent auf seine riemenbetriebene Hinterachse. Durch die Last der auf der Rückbank platznehmenden Passagiere wird der Riemen unter Spannung gesetzt. (Bild: Heike Fischer/TH Köln)
Rückstände roten Sprühnebels am Lenkstock zeigen, dass die rote Farbe des Automobils nachträglich aufgetragen wurde. (Bild: Heike Fischer/TH Köln)
Die Lampen des Viś-a-Viś-Motorwagens stammen offenbar von einem anderen Fahrzeug aus der Zeit. (Bild: Heike Fischer/TH Köln )
Philip Mandrys, Restaurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Fahrzeugtechnik, wird jetzt gemeinsam mit Studierenden der Fahrzeugtechnik und des CICS das Fahrzeug umfangreich untersuchen. Dafür wird es dreidimensional fotografisch erfasst und gescannt. „Es ist in einem bemerkenswert guten Zustand, das ist eher selten“, sagt Mandrys. Von der Originalsubstanz sei noch viel erhalten, einige Teile seien dagegen nicht ursprünglich. Die rote Farbe des Vis-à-Vis wurde nachträglich aufgetragen. Das zeigen Rückstände roten Sprühnebels am Lenkstock – ein Hinweis auf den Einsatz von Sprühdosen, „was 1901 noch nicht möglich war“. Lackproben können Rückschlüsse auf die Originalfarbe und die Beschaffenheit ermöglichen. Auch die Lampen stammen offenbar von anderen Fahrzeugen aus der Zeit.
„Wir werden mehrere Konzepte erarbeiten, die von einer reinen Konservierung bis zur Rekonstruktion des ursprünglichen Erscheinungsbildes reichen – mit Wiederherstellung des Fahrbarkeit. Ziel ist es, das Fahrzeug, seine Geschichte und Bedeutung für den automobilen Standort Köln zu erhalten und zu präsentieren.“ Ob das Automobil dann auch nach allen Vorschlägen der TH Köln überarbeitet wird, ist für das Museum eine finanzielle Frage. Für das Forschungsprojekt werden noch Spender und Unterstützer gesucht. „Wir würden unseren Besucherinnen und Besuchern gerne zeigen, wie der Motorwagen ursprünglich ausgesehen hat“, sagt der stellvertretende Direktor des Stadtmuseums Dr. Michael Euler-Schmidt.
So wenig Eingriffe wie möglich, so viele wie nötig
„Die Museen stellt die Ausstellung und Lagerung alter Autos vor große Herausforderungen“, sagt Prof. Dr. Friederike Waentig vom CICS. „Wir erhalten dazu laufend Anfragen, denn bisher wurden sie aus Unwissenheit entweder ungeschützt dem Verfall preisgegeben, oder soweit in einen Neuzustand aufpoliert, dass die Fahrzeuge als objekthistorische Automobile zerstört worden sind.“ Auch die Vermittlung der Technik und des Fahrgefühls gehe bei einer zu starken Reparatur verloren. „Wir verfolgen eine andere Richtung: Die Konservierung und Rekonstruktion des Originalzustands, bei dem das gelebte Alter sichtbar ist. Es gibt noch einen großen Forschungsbedarf, welche Standards hier definiert werden können und sollten.“
Begleitend zu den Maßnahmen am Vis-à-Vis-Motorwagen hat das Forschungsprojekt deshalb zum Ziel, einen allgemeinen Kriterienkatalog und Handlungsempfehlungen für Restauratoren und Museen zu entwickeln. „Die Museen bestätigen uns, dass sie gerne unseren Ansatz verfolgen wollen. In dieser Form ist unsere interdisziplinäre Zusammenarbeit der Fahrzeugtechnik und Konservierungswissenschaften europaweit bisher einzigartig. Wir wollen deshalb an der TH Köln ein Kompetenzzentrum für die Automobilrestaurierung entwickeln“, sagt Prof. Dr. Frank Herrmann vom Institut für Fahrzeugtechnik.
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Historische Aufarbeitung des Automobilstandorts Köln
Neben der Arbeit am Vis-à-Vis-Motorwagen beinhaltet das Forschungsprojekt auch eine kultur- und industriegeschichtliche Aufarbeitung. In der Pionierzeit der Automobilentwicklung spielten Köln und seine Region eine tragende Rolle. Die 1864 gegründete Gasmotoren-Fabrik Deutz (heute Deutz AG) ist die erste Motorenfabrik der Welt. Hier wurde durch Nikolaus August Otto und Eugen Lang den Viertaktmotor mit 3 PS Leistung entwickelt. Die Wagenbauerei Bernhard Scheele konzipierte 1898 das erste Elektroautomobil Deutschlands. Die Firma Ernst Heinrich Geist Elektrizitäts AG fertigte 1904 das sogenannte Dynamobil – in seiner Kombination von Verbrennungs- und Elektromotor ein früher Verteter des Hybridfahrzeuges. Und die ersten deutschen Tankkioske entstanden 1922 in Köln und Hannover durch die Firma Olex.
„Die damalige Bedeutung des Standorts Köln ist heute in Vergessenheit geraten. Wir wollen das Bewusstsein wieder wecken. Der Vis-à-Vis-Motorwagen ist daher nicht nur ein Kulturgut und technisches Denkmal für die Kölner Pionierarbeit. Wir können anhand des Fahrzeug außerdem das Verkehrswesen, seine Einflüsse und das damalige Leben in Köln nachzeichnen“, sagt Mandrys.
März 2016