Backhefe, Trauben und Äpfel industriell nachhaltig nutzen
Die optimale Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen wird für die Industrie bei knapper werdenden Ressourcen immer bedeutender. Die Doktorandin Josipa Lisicar von der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften der TH Köln entwickelt ein System, das die Abfallprodukte bei der Herstellung von Backhefe (Saccharomyces cerevisiae) optimal nachhaltig und multidisziplinär nutzt.
Ihre Doktorarbeit „Einsatz von Membranverfahren bei der industriellen Produktion von Backhefe: Prozessoptimierung und Gewinnung von Biomolekülen“ schreibt Josipa Lisicar im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit der Leibniz Universität Hannover. Betreut wird die Promovendin aus Kroatien von Prof. Dr. Stephán Barbe von der TH Köln.
Wie Backhefe und ihre Nebenprodukte entstehen
Die Weltproduktion von Backhefe liegt bei zwei Millionen Tonnen jährlich. Es ist ein natürliches Produkt, das allerdings mit komplexer Technik hergestellt wird. „Ich möchte herausfinden, wie man bei der Herstellung von Backhefe die Produktionskosten senken kann und wie man den Herstellungsprozess noch optimieren und nachhaltig gestalten kann, indem man nicht nur das Nebenprodukt wie Würze, sondern auch Wärme und Wasser effizient nutzt “, sagt Josipa Lisicar. Backhefe sorgt für die natürliche, biologische Lockerung von Brot, Brötchen und Gebäcken. Sie wird in einem biotechnologischen Verfahren, der Fermentation, vermehrt. Zur Gärung ist Melasse, ein zäher (hochviskoser) dunkelbrauner Zuckersirup, der als Nebenerzeugnis in der Zuckerproduktion anfällt, unersetzlich. „Allerdings ist die Melasse in der Industrie begehrt und deshalb teuer, weil er beispielsweise zur Herstellung von Bio-Ethanol, das in Benzin vorkommt, benötigt wird“, so Lisicar.
Äpfel und Trauben ersetzen Melasse
Um weniger davon zur Herstellung von Backhefe zu benötigen, möchte Josipa Lisicar Apfeltrester, das sind die Pressrückstände bei der Herstellung von Apfelsaft, dazu mischen. „Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Ich konnte einiges an Melasse für die Herstellung von Backhefe einsparen“, sagt Lisicar. Derzeit untersucht die Doktorandin außerdem die Mischung von Melasse und Traubenextrakt, der bei der Weinherstellung übrig bleibt, um auch hier zu sehen, wieviel Melasse man damit bei der Herstellung von Backhefe einsparen kann. Die Backhefe wird in großen Fermentern in einem biotechnologischen Verfahren vermehrt. Am Ende der Fermentation werden die Hefe-Zellen von der Fermentationsbrühe mechanisch mit Hilfe einer bestimmten Membrantechnologie getrennt und der Rückstand, die sogenannte Würze, wird eingedampft. Das entsprechende proteinreiche Konzentrat (Vinasse) wird als Dünge- oder Futtermittel verwertet. Die hochkonzentrierte Suspension, die sogenannte Hefesahne, wird teilweise direkt zu großen Bäckereien transportiert. Der Rest der Hefesahne wird zu Presshefe verarbeitet.
Aufbau einer Pilot-Anlage zu Produktion von Hefesahne und Presshefe
Um selber Hefesahne und Presshefe zu produzieren und um beides analysieren zu können, baute Josipa Lisicar zunächst eine Produktionsanlage dafür im Labor der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften in Pilotmaßstab nach. Die spezielle Fermentationstechnik von S. cerevisiae schaute sie sich im Entwicklungslabor der Firma Uniferm in Monheim am Rhein an. Dort erlernte die Promovendin auch die entsprechende Analytik. Die nachgebaute Anlage im Labor der TH Köln am Campus Leverkusen besteht aus einem 15-Liter-Fermenter, einer Mikrofiltrationsanlage und einem Vakuumdrehfilter.
Prozesscharakterisierung und Stoffbilanzierung
In einem zweiten Schritt analysiert die Promovendin u.a. die Stoffströme, die bei der Herstellung von Vinasse entstehen. Ziel ist die technische Charakterisierung des Verfahrens und eine wirtschaftliche Bewertung der Würze als potentielle Quelle für die industrierelevanten Biomoleküle Invertase und Betain.
Ökologisch wertvolle Produkte und Nebenprodukte
Bei der Produktion von Backhefe fällt Vinasse (Würze) als Futtermittel für die Tierfutterproduktionsindustrie an. Mit Hilfe einer bestimmten Membrantechnologie werden außerdem Betain und Invertase gewonnen. Die eingesetzten Membranverfahren werden dabei verfahrenstechnisch charakterisiert. Invertase wird industriell als Feuchthaltemittel bei der Herstellung von Süßwaren verwendet. Betaine und Aminosäuren werden für die Lebensmittelindustrie im Bereich Vitalstoffe genutzt.
Warmwasser zum Heizen von Wohnhäusern
Bei der biochemischen Reaktion wird viel Energie freigegeben. Um Bioreaktoren herunterzukühlen, wird das Brunnenwasser verwendet. Nach der Kühlung soll dieses Wasser wiederum als Warmwasser und Wärme zum Heizen von Wohnhäusern, Schulen und Schwimmbädern genutzt werden. „40.000 Menschen könnten damit versorgt werden. Es gibt hier nicht mehr nur ein Produktionsziel im Rahmen der Biotechnologie, sondern es wird auch Thermodynamik genutzt. Somit ist es ein multidisziplinäres Projekt“, sagt Prof. Dr. Stéphan Barbe, der das Projekt betreut.
Nebenprodukte multidisziplinär und nachhaltig nutzen
Bei knappen Ressourcen sollen Nebenprodukte aus anderen Industriezweigen zur Herstellung eines Produktes multidisziplinär und nachhaltig genutzt werden können. „Man konzentriert sich auf verschiedene Produktionsketten, die von einer Industrie zur nächsten weitergereicht werden. Das ist das Konzept von „integrierter Nachhaltigkeit“, sagt Josipa Lisicar, die an der Fakultät für Lebensmitteltechnologie und Biotechnologie der Universität Zagreb ihren Bachelor in Biotechnologie und Master in Bioverfahrenstechnik gemacht hat. Prof. Dr. Thomas Scheper von der Leibniz Universität Hannover betreut die Promovendin als Doktorvater.
Josipa Lisicar ist außerdem Promovierendenvertreterin des Forschungsinstitut STEPs (Sustainable Technologies and Computational Services for Environmental and Production Processes).
(Viola Gräfenstein, 17.04.18)
April 2018