Aus Ausnahmesituationen Regeln ableiten? – Ein Interview zum Andenken Verstorbener

Eine Hand liegt auf einem schwarzen Sargdeckel. (Bild: AdobeStock/Seventyfour)

Als der ehemalige Papst Benedikt XVI. Ende letzten Jahres verstarb, erschien kurz darauf ein Artikel, in dem er als „queerfeindlicher Hetzer“ bezeichnet wird. Mit Berufung auf den Paragraphen 189 des Strafgesetzbuches wurde der Beitrag daraufhin zur Anzeige gebracht.

Aber was wird hier angezeigt? Wen schützt der Paragraph? Und wer kann eigentlich den für die Strafverfolgung erforderlichen Strafantrag für einen Verstorbenen stellen? Im Interview ordnet Prof Dr. Rolf Schwartmann von der Fakultät für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften den Fall ein.

Herr Prof. Dr. Schwartmann, können Sie kurz zusammenfassen, worum es im Paragraphen 189 des Strafgesetzbuches (StGB) geht?

Die Rechtsnorm hat einen kurzen Wortlaut. Sie lautet: „Wer das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Das heißt, man braucht, um den Tatbestand zu erfüllen, zunächst einmal ein „Opfer“. Und da beginnt schon das Problem. Tote haben – wenn man so will – einen rechtlichen Sonderstatus. Denn es muss ein lebender Äußerungsadressat vorhanden sein, der die Kränkung wahrnehmen und verstehen kann. Gewissermaßen ist das ein Äußerungsdelikt im Dreiecksverhältnis. Eine Verunglimpfung ist eine besonders schwere Form der Beleidigung oder der Kränkung. Wenn man zum Beispiel sagt, der Verstorbene war ein Spinner, dann wird das vermutlich für eine solche Kränkung nicht reichen. Aber wenn man – im Falle des verstorbenen Papstes – sagt, er war ein „queerfeindlicher Hetzer“, dann ist das schon eine kränkende Formulierung. Zumal „Hetzen“ ja letztlich ein Begriff aus dem Bereich der Jagd ist.  

Jetzt sprechen wir über Verstorbene, die sich ja nicht mehr juristisch wehren können. Kann eine Verunglimpfung trotzdem strafrechtlich verfolgt werden?

Prof. Dr. Rolf Schwartmann "Es ist immer problematisch, wenn man in juristischen Kontexten aus einer Ausnahmesituation eine Regel ableitet." Prof. Dr. Rolf Schwartmann (Bild: Thilo Schmülgen/TH Köln)

Die Besonderheit ist, dass die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener ein Delikt ist, das grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt wird. Das Antragsrecht steht den im Gesetz benannten Angehörigen des Verstorbenen zu. Einen Antrag auf Strafverfolgung können etwa die Ehe- oder Lebenspartner und die Kinder stellen. Hat der Verunglimpfte diese Angehörigen nicht, geht das Antragsrecht auf die Eltern über; falls die gestorben sind, auf die Geschwister und die Enkel. Tanten, Onkel, Cousinen oder Cousins fallen zum Beispiel nicht in den Kreis der engen Angehörigen, auf die das Antragsrecht übergehen kann. Man braucht also einen engen Kreis von Leuten, die dem Verstorbenen so nah sind, dass deren Ehrgefühl über das Ansehen des Verstorbenen verletzt werden kann. Gibt es keine antragsberechtigten Hinterbliebenen mehr, dann kommt es nicht zu einer Strafbarkeit.

Im Falle des verstorbenen Papstes kam es zu einer Anzeige gegen ein Portal, von dem er als „queerfeindlicher Hetzer“ bezeichnet wurde. Gelten für das Andenken von Personen des öffentlichen Lebens andere Richtlinien als bei Privatpersonen?

Unter Lebenden jedenfalls muss man dann, wenn man in der Öffentlichkeit steht und sich am Diskurs beteiligt, mehr aushalten, als wenn man die Öffentlichkeit meidet. Der Kölner Kardinal Woelki und das Verfahren vor dem Landgericht Köln gegen die Bild-Zeitung, in dem es darum geht, welches Wissen der Kardinal über einen Priester unter Missbrauchsverdacht hatte, sind ja aktuell Gegenstand der medialen Berichterstattung. Hier geht es aber nur um Berichterstattung und anders als beim verstorbenen Papst nicht um eine Diffamierung. Ich würde sagen, dass das Verhalten des lebenden Prominenten durchaus auch Maßstab für die Auslegung des Straftatbestandes von § 189 StGB ist. Jemanden als „queerfeindlichen Hetzer“ zu bezeichnen, halte ich jedenfalls dann für deutlich zu weitgehend, wenn keine konkreten Belege für Aussagen vorliegen, die in diese Richtung gehen.

Bedeutet das, dass Anzeigen wie die gegen das Magazin doch auf irgendeinem Weg erfolgreich sein können? Schließlich hat der verstorbene Papst keine näheren Verwandten, die antragsberechtigt wären.

Dazu müsste man das Strafrecht verändern. Das ist beim Upskirting (Blick oder Bildaufnahme unter einen Rock mit voyeuristischem Interesse, Anm. d. Red.) geschehen, für das es eine Strafbarkeitslücke gab. Das ist nach meiner Einschätzung bei § 189 StGB nicht der Fall. Es sind Ausnahmefälle, in denen das Ansehen Verstorbener in einer Weise verunglimpft wird, ohne dass das Strafrecht dafür eine adäquate Lösung bereit hält. Wir haben das kürzlich in der Debatte um die Senkung der Strafmündigkeit gesehen, als nicht strafmündige Kinder gestanden haben, gezielt und bewusst einen Mord geplant und begangen zu haben. Dieser weit über die Maße tragische Fall ist nach meiner Einschätzung ein Einzelfall, der es nicht rechtfertigt, die Schwelle der Strafmündigkeit auf unter 14 Jahre zu senken. Es ist immer problematisch, wenn man in juristischen Kontexten aus einer Ausnahmesituation eine Regel ableitet.

April 2023

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