„Auf ein Kränzchen - 11 Fragen, 11 Antworten" – Interview mit Jörg Binnenbrücker, Capnamic Ventures

In „Auf ein Kränzchen – 11 Fragen, 11 Antworten“ sprechen Sophia Haski und Prof. Dr. Kai Thürbach mit Jörg Binnenbrücker, Managing Partner bei Capnamic Ventures, über Entrepreneurship und Gründung in Köln.

Portrait Jörg Binnenbrücker, Managing Partner bei Capnamic Ventures (Bild: Silviu Guiman)

1. Frage: Wir starten mit der typischen Frage aus der Gründerszene: Wer bist du und was machst du?

Jörg Binnenbrücker: Ich bin Jörg Binnenbrücker. Ich mache Venture Capital mit Herz und Seele. Und wenn ich das nicht mache, begleite ich meinen Fußballverein, den 1. FC Köln, bei Heim- und Auswärtsspielen.

2. Frage: Was hast du in deinem Studium gemacht und wie hat dich deine Hochschulzeit auf dein Leben als Investor vorbereitet?

Jörg Binnenbrücker: Ich habe Jura studiert und bin zugelassener Rechtsanwalt, Gott sei Dank musste ich aber nie als Anwalt arbeiten. Gott sei Dank für die Mandantschaft, nicht für mich. Ich habe dort gelernt, komplexe Sachverhalte zu verstehen. Und natürlich hilft mir heute in den Verhandlungen und wenn wir Verträge anschauen mein Grundwissen im juristischen Bereich. Ich werde da also nicht hinters Licht geführt, aber wir nehmen natürlich trotzdem externe Anwälte dazu, wenn wir mit den Gründern verhandeln.

3. Frage: Wie hat deine Karriere im Venture Capital begonnen und was ist eure Gründungsgeschichte?

Jörg Binnenbrücker: Das ist ein bisschen länger zu beantworten, weil: Du kannst Venture Capital nicht studieren, es gibt keinen Studiengang, du musst irgendwo einen Hintergrund haben. Ich habe ja auch im Grundstudium Volkswirtschaft studiert, das heißt, ich hatte eine Nähe zur Wirtschaft, aber man braucht Erfahrung und Execution-Expertise, wenn man da reingeht. Das heißt, ich habe sehr früh angefangen, selber Firmen zu gründen, nie skalierbar, nie technologisch, immer nah am Cash. Das hat mir sicherlich geholfen, im Aufbau von Firmen die Gründer besser zu verstehen. Dann bin ich für fünf Jahre in eine Unternehmensberatung gegangen und habe mit Corporates zusammengearbeitet und dort verschiedene Größen von Unternehmen und verschiedene Herausforderungen kennengelernt. Das hilft mir natürlich heute, wenn ich mir Gründungsvorhaben oder junge Unternehmen anschaue. Wie ist Capnamic Ventures entstanden? Nach der Unternehmensberatung hat mein Vater gesagt: Mach mal was Vernünftiges, und ein Mandant in der Unternehmensberatung war ein Venture Capitalist und ich habe mich schlagartig in Gründer und in Geschäftsmodelle verliebt, die ich da getroffen habe, und gleich gesagt: Das will ich machen, da will ich anfangen. Und das hat dann ganz gut geklappt. Das war im Zeitalter des Neuen Marktes, also 2000, da wurden erst große Partys gefeiert, so wie das heute auch war, dann kam der große Niedergang, der große Knall. Das war schön, aber auch interessant zu sehen, was das mit Gründern macht. Nicht alle haben aufgegeben, viele haben durchgehalten, haben tolle Unternehmen danach gebaut. Und so schaue ich auch heute auf die Firmen, die wir finanzieren. Nicht nur hochjubeln, jauchzend, sondern auch zu verstehen: Was passiert, wenn es mal nicht so gut läuft? Ja, und dann habe ich für DuMont, den Verlag in Köln, das Venture-Capital-Geschäft aufgebaut und habe dann für mich entschieden, dass es Sinn macht, nicht nur mit einem Corporate zusammenzuarbeiten und die Added Value den Start-ups zur Verfügung zu stellen, sondern das in einem größeren Verbund zu machen. So entstand die Idee für Capnamic, den Multi Corporate Fund, so damals der Claim, und das haben wir dann 2010/2011 ins Leben gerufen. Bald sind wir zehn Jahre unterwegs und das werden wir natürlich groß feiern.

4. Welche Eigenschaften müssen Gründerinnen und Gründer mitbringen, damit du dich für ein Investment entscheidest, und worauf achtest du beim ersten Gespräch?

Jörg Binnenbrücker: Es gibt die üblichen Checklisten. Also: Wie komplementär ist das Gründungsteam aufgestellt? Was bringen sie an Expertise mit, wie funktionieren sie untereinander? Das ist für uns ganz entscheidend, wie da die Mechanismen laufen. Im ersten Gespräch möchte ich Authentizität haben. Ich möchte sehen: Was ist das für ein Mensch? Wie versteht er sein Geschäft, wie granular kann er es mir erklären oder auch wie nichtgranular kann er es mir erklären? Wenn mir jemand in drei Minuten nicht erklären kann, was er eigentlich tut, wo das Problem liegt und welches Problem er löst, hat er schon schlechte Karten. In der Regel dauert es aber bei mir ein bisschen länger, denn wir als Investoren kommen ja in solch ein Gespräch als nichtwissend und die Teams haben sich sechs oder neun Monate tief darauf vorbereitet. Deswegen erwarte ich natürlich, dass jede dumme Frage beantwortet wird. Das heißt nicht, dass das Pitch-Deck oder die Dokumentation, die er mir gegeben hat, schon diese Tiefe haben muss. Aber wenn eine Frage kommt, muss er aus der Tiefe ein weiteres Dokument hochziehen können, das er mir zeigt und was mir dann meine Frage beantwortet. Und ich muss spüren, dass ich mit diesem Menschen zehn Jahre, fünf Jahre, acht Jahre meine Zeit verbringen will. Vielleicht auch mal ein Bier trinken will, vielleicht auch mal kritisch ins Gericht gehen will, das darf er mit mir auch. Aber es muss irgendwo jemand sein, der lernen will und der auch ein Interesse hat, mit jemandem zusammenzuarbeiten, und kein reiner Ego-Zocker ist. Das ist für uns ganz wichtig, wenn wir investieren.

5. Frage: Wie werden Start-ups auf ihrem Weg von Capnamic Ventures begleitet?

Jörg Binnenbrücker: Zunächst mal haben wir eine ganz harte Prüfung: Das Assessment, damit sie überhaupt durchkommen, dauert und ist tief. Wir sehen im Jahr 2500 Deal-Opportunities und investieren in fünf. Daran sieht man, dass mein eigentlicher Job ist, Nein zu sagen. Also nicht schön. Man denkt immer, der Investor geht da rein, feiert dann den Abschluss. Aber in der Regel sage ich mehrmals am Tag „Nein, können wir leider nicht machen, aus diversen Gründen“. Wenn sich dann einer durchgesetzt hat, versuchen wir mit ihm von Tag eins die Company zu entwickeln. Das heißt, wir helfen ihm beim Aufbau des Unternehmens, vor allen Dingen Hiring. Die Teams, die zu uns kommen, sind noch relativ überschaubar, zwischen fünf und zwanzig Leute, die dann auflaufen, und nach einem Jahr haben wir schon 50 oder 60. Die ersten Hires sind entscheidend für die Entwicklung der Firma. Und da unterstützen wir im Gespräch, aber auch in der Auswahl und in der Aufstellung des Organigramms. Welche Rollen brauchst du eigentlich? Da helfen wir sehr. Wir machen das nicht alleine. Wir sind ein Team von 20 Leuten und sind alles zwar Ex-Unternehmer, aber nicht mehr im Saft. Deswegen versuchen wir, unsere Unternehmer untereinander zu vernetzen und Fehler im Portfolio nur einmal zu machen und sie zu bestimmten Punkten immer wieder zusammenzubringen. Und dann auch nicht nur die Führungsriege, sondern auch das mittlere Management zu den einzelnen Themen. Dann treffen sich die CFOs, die Marketing-Manager und HR-Leute. Zudem versuchen wir unser Netzwerk nah an die Start-ups zu bringen, möglicherweise Kundenbeziehungen aufzubauen und Entwicklungspartnerschaften zu etablieren. Dann helfen wir extrem bei Folge-Finanzierungen. Denn wenn wir investieren, müssen die Jungs noch zwei, drei oder vier Mal diese Tortur machen und weiteres Geld einwerben. Und da kennen wir natürlich die Folge-Investoren, wissen, was sie hören wollen, und helfen bei der Vorbereitung und der Erstellung der Unterlagen.

6. Frage: Du bist Experte für Frühphasen-Investments. Frühphasen-Investments sind auch mit Risiken verbunden. Wie handelst du, wenn Probleme abzusehen sind?

Jörg Binnenbrücker: Zunächst einmal ist das typisch deutsch. Im Deutschen heißt es „Risikokapital“, was ich mache. Im Englischen heißt es „Venture Capital“, also Unternehmenskapital. „Unternehmen“ hört sich also viel schöner an als „Risiko“. Natürlich gibt es Risiken. Die gibt es aber in jeder Unternehmung. Das Erste, was man tun muss, ist Ruhe bewahren. Das heißt, es kommen sehr viele Probleme auf die Start-ups zu. Und wenn du jedes Mal direkt in Ohnmacht fällst, wirst du es schwer haben. Das heißt, du musst lernen zu reflektieren, zu verstehen und dann zu agieren. Und da helfen wir. Da versuchen wir mit reinzugehen und zu sagen: „Okay, das ist jetzt passiert, ist nicht so schlimm. Diese und diese Möglichkeit haben wir jetzt, darauf zu reagieren.“ Manchmal muss man harte Entscheidungen treffen und die möglichst schnell. Zeit ist ein kritischer Faktor im Measure Capital. Das heißt, wenn ich zu lange warte bei einer Führungsposition, die nicht performt oder nicht funktioniert mit den anderen, dann kann es sein, dass sich dieser Virus in die Organisation reinsetzt. Das heißt, da müssen wir schnell reagieren, aber nicht vorschnell.

7. Hast du schon einmal ein Investment bereut?

Jörg Binnenbrücker: Nicht einmal, sondern regelmäßig, in beide Richtungen: dass wir es nicht gemacht haben und dass wir es gemacht haben. Beides kommt vor. Gott sei Dank kommt es häufiger vor, dass wir es nicht gemacht haben. Ein Beispiel ist wirkaufendeinauto.de, die einen sehr prominenten Börsengang gemacht haben, im Milliardenbereich bewertet sind und ich die Möglichkeit hatte, als erster Investor zu investieren. Mir war es damals aber zu teuer. Sie hatten nur eine Präsentation und eine Idee, einen sehr interessanten Markt, aber sonst noch nicht viel und wollten eine hohe Bewertung haben. Ich habe mich ein bisschen darunter angesiedelt, weil ich gedacht habe: Das kann ich nicht machen – aber diesen Duktus habe ich abgelegt. Du darfst nicht Angst haben vor großen Zahlen, wenn du das Geschäft machst, denn entscheidend ist, was hinten rauskommt, und nicht, was du am Anfang bezahlst. Natürlich liegt auch der Gewinn im Einkauf, aber die Mischung muss stimmen.

8. Frage: Wie können wir Hochschulen Gründerinnen und Gründer besser unterstützen? Was könnten wir bei »Fit for Invest« deiner Meinung nach noch besser machen und wie können wir besser mit unseren Investoren zusammenarbeiten?

Jörg Binnenbrücker: Ich bin regelmäßig an Hochschulen und halte Vorträge über Unternehmertum und Gründungen. Ich glaube, das muss man verstärkt machen. Man muss die Praxis in die Uni holen für diejenigen, die tatsächlich Gründungsinteresse haben und Transfer machen wollen. Es gibt ein großes Angebot, aber das Hands-on-Business – also Steuern, wie gründe ich eine GmbH, wie stelle ich Personal ein, wie lese ich einen Lebenslauf – das findet im Curriculum nicht statt und ist auch nicht so vorgesehen. Also muss ich mir das extern reinholen. Das ist eine Möglichkeit, das über die Investoren zu machen, denn die haben natürlich ein Interesse daran, die guten Studenten zu treffen, zu sehen, zu verstehen, was sie vorhaben. Und ich glaube, die Gründer und Studenten sind oft schon weiter als die Universität selbst. In Köln gibt es zum Beispiel den ECC, der die RHIVE ins Leben gerufen hat. Da sieht man: Das ist nah an unserem Geschäft, die verstehen das. Wenn ich früher zu Veranstaltungen gegangen bin, die rein universitär ins Leben gerufen worden sind, war das ein bisschen weiter weg, zu theoretisch. Und diese Offenheit zu haben als Universität: Da kann »Fit for Invest« helfen. Und diesen Transfer zwischen Gründern, Universität und Investoren dann darzustellen, ist eigentlich die Aufgabe. Und deswegen finde ich das auch so spannend und mache da gerne mit.

9. Frage: Konntest du in den letzten Jahren eine Entwicklung bei Gründungsteams feststellen? Wie unterscheiden sich die Gründungsideen von Start-ups früher im Verhältnis zu denen von heute?

Jörg Binnenbrücker: Die Awareness für das Thema ist stark gewachsen, gerade auch bei Studenten. Die sehen es als echte Alternative, dass man auch in junge Unternehmen gehen kann, die stark wachsen, dass man da eine höhere Lernkurve hat. Diese Vermittlung muss früher stattfinden und die Teams werden einfach schlauer, besser und sind gut vorbereitet. Es gibt viele Informationen im Netz und natürlich auch viel Erfahrungen aus den letzten Jahren. Und es gibt viele Business Angels, die bereits erfolgreich waren und die ihr Know-how und ihr Kapital wieder in das Ökosystem zurücktreiben. Da sind wir aber noch nicht am Ende, das kann noch besser werden. Die USA ist noch weit vor uns und hier können wir aufholen. Und da hilft für »Fit for Invest« auch wieder.

10. Frage: Was wünschst du dir für deinen Heimatort und für die Start-up-Region Köln?

Jörg Binnenbrücker: Die Deutsche Meisterschaft für den 1. FC Köln. Und in meinem Bereich mehr Offenheit. Der Kölner an sich feiert sich gern selbst. Und das musst du aufgeben. In dem Bereich, in dem wir sind, geht es um Gemeinsamkeiten, um Kompromisse und um Offenheit, auch andere mitzunehmen. Köln alleine wird nie die Größe und die Wichtigkeit der Cluster in Berlin und München erreichen können. Aber wenn ich mich da öffne und Düsseldorf, das Ruhrgebiet und Aachen bis Koblenz mitnehme und das sogenannte „Rhein-Valley“ etablieren kann, kann ich führend werden im Start-up-Bereich. Und das fehlt mir noch. Da möchte ich mehr Offenheit haben von allen Playern und mehr Bereitschaft, Leute mitzunehmen. Aber der Standort hat sich gut entwickelt. Es gibt Leuchttürme, davon brauchen wir mehr und größere, damit jeder in Köln sieht, dass es auch Firmen gibt, die noch nicht so alt sind und nicht historisch in Köln groß geworden sind, die eine Rolle spielen und Arbeitsplätze ermöglichen. Und das wünsche ich mir für Köln.

11. Frage: Warum unterstützt du »Fit for Invest« der Kölner Hochschulen?

Jörg Binnenbrücker: Was mich wirklich begeistert hat schon in unserem ersten Gespräch über »Fit for Invest«, sind genau diese beiden Themen, nämlich: Dass das erste Mal alle Hochschulen etwas gemeinsam machen, denn nur so funktioniert es. Wenn ich zu klein denke, funktioniert es nicht. Man kann es noch weiter ausbauen, und das ist eine Aufgabe, bei der ich gerne mithelfe. Und: Dass Gründer etwas an die Hand bekommen, dass sie fit gemacht werden, um draußen zu bestehen, durch externe Partnerschaften, durch Konferenzen, durch Veranstaltungen etc. Sicherlich war es auch das sympathische erste Gespräch, aber am Ende war für mich ganz klar, dass ich das unterstützen muss, damit wir hier Köln nach vorne bringen.

Februar 2024

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