18. Internationale Migrationskonferenz: Migration – Medien – Öffentlichkeit
Migration – Medien – Öffentlichkeit: Schon die Begriffstrias des Titels signalisierte die hochaktuelle Brisanz der Thematik der 18. internationalen Migrationskonferenz, die vom 21.06.2018 bis 23.06.2018 an der TH Köln ausgerichtet wurde.
Den Veranstalter*innen der Tagung, Prof. Dr. Ottersbach, Leiter der Kompetenzplattform „Migration, interkulturelle Bildung und Organisationsentwicklung“ und Prof.‘in Dr. Angela Tillmann, Leiterin des Forschungsschwerpunktes „Medienwelten“, war daran gelegen, jenseits aufgeheizter Debatten um die mediale Berichterstattung zum Thema Flucht die aktuelle Forschungslage zum Themenfeld Migration und Medien in seinen unterschiedlichen Facetten genauer in Augenschein zu nehmen: Entsprechend ging es auf der Konferenz über die Frage der verwendeten Semantiken und Bilder zur sogenannten Flüchtlingsdebatte hinaus nicht nur weitergehend um die Frage der Repräsentation von Migrant*innen in den Medien, sondern auch um ihre mediale Partizipation (als Produzent*innen und Rezipient*innen medialer Inhalte). Migrationsphänomene sind nicht auf (fluchtbezogene) Zuwanderung beschränkt, und die Bedeutung von Migrant*innen als Akteure im Kontext der Diskurse von Medien und Öffentlichkeit muss stärker in den Blick genommen werden, als dies gemeinhin geschieht.
Dass dieses Konzept aufging, war an der großen Resonanz zu erkennen, die die Tagung auslöste: Mehr als 110 Wissenschaftler*innen, Fachkräfte aus der Praxis, Studierende und weitere Themeninteressierte aus dem In- und Ausland waren an die TH Köln gekommen, um sich mit den damit zusammenhängenden Fragen zu befassen und sie miteinander zu diskutieren. Dazu gab es ausreichend Gelegenheit: Mit 35 Vorträgen und 12 deutsch- bzw. englischsprachigen Workshops erwartete die Teilnehmer*innen ein dichtes, vielfältiges Programm. Flankiert wurde die Tagung durch das Doktorand*innen-Kolloquium der Fachgruppen ‚Medien und Kommunikation‘ und ‚Soziales und Gesundheit‘ des Graduierteninstituts NRW am 21. Juni 2018 und eine künstlerische Kabarett-Einlage von Muhsin Omurca.
Die Tagung wurde von Prof. Dr. Stefan Herzig (Präsident der Technischen Hochschule Köln), Prof. Dr. Gerd Sadowski (Dekan der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Köln) sowie von den Veranstalter*innen der Migrationskonferenz, Prof. Dr. Markus Ottersbach, Prof. Dr. Angela Tillmann, (beide von der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften) und Prof. Dr. Thomas Geisen (Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten/Schweiz) eröffnet.
Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW, das die Veranstaltung gefördert hat, wurde von Dr. Aladin El-Mafaalani (Abteilungsleiter für Integration) vertreten. Er nutzte die Gelegenheit, in seinem Grußwort auch ein fachliches Statement abzugeben: Demnach habe man im migrationspolitischen Diskurs in den letzten Jahren viel erreicht.
Neben Plenarvorträgen gab es zahlreiche Workshops zu Unterthemen wie Flucht, Soziale Arbeit, Erinnerungskulturen, Politik, Agency, Film, Gender und Bildung. Prof. Dr. Thomas Kunz (Frankfurt University of Applied Sciences am Main) stellte im ersten Vortrag eine mediale Diskursanalyse auf der Basis der Titelbilder eines politischen Printmagazins vor. Dabei kam er zu einer überraschenden Einschätzung: Die derzeit in den Medien im Zusammenhang mit Fluchtmigration transportierten Fremdheitsbilder sind keineswegs neu; so wurden in der Vergangenheit häufig sehr ähnliche Bilder und Formulierungen in den Schlagzeilen verwendet. Der Einfluss solcher Thematisierungsformen in den Medien auf die politischen Diskurse in der Öffentlichkeit sei von großer Bedeutung. Zugleich zeige sich hier, so Kunz, dass nach wie vor ein von einem ethnischen Homogenitätsmythos dominiertes nationales Selbstverständnis vorherrsche, das dringend einer Revision bedürfe.
Internationale Migrationskonferenz
Die Migrationskonferenz ist ein Kooperationprojekt der Kompetenzplattform "Migration, interkulturelle Bildung und Organisationsentwicklung" mit Hochschulpartnern in Luxemburg und der Schweiz.
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Während sich Kunz mit der Analyse eines politischen Printmagazins auf den Bereich „klassischer Medien“ beschränkte, bezog Prof.‘in Dr. Christine Lohmeier (Universität Bremen) im anschließenden Vortrag auch social media mit ein; sie fokussierte sich auf die Frage der Relevanz von Medien in den Prozessen des kollektiven und individuellen Erinnerns und Vergessens und diskutierte diese anhand unterschiedlicher von ihr durchgeführter Forschungsprojekte.
Die Diskussionen wurden in den anschließenden Workshops fortgeführt. Dass Migrant*innen im Sinne des Agency-Konzeptes als handlungsmächtige Subjekte im medialen Kontext anzusehen sind, stand im Mittelpunkt eines Beitrages von Prof.‘in Dr. Henrike Friedrichs-Liesenkötter (Universität Lüneburg). In ihrem qualitativen Forschungsprojekt befasste sie sich mit den Medienpraktiken junger Geflüchteter und den darauf ausgerichteten (medien-)pädagogischen Konzepten.
Im Fokus der Ausführungen von Marc Hasselbach (Projekt DigitaleSozialeArbeit.de) und Karin Sauer (Duale Hochschule Baden-Württemberg Villingen-Schwenningen) stand das so genannte Darknet, ein anonymisierter Bereich des Internet. Erkennbar wurde, dass sich aufgrund der technischen Vorkehrungen und der Abschottungsroutinen der an den Foren Beteiligten hier ausgedehnte, ausgesprochen schwer zugängliche virtuelle Kommunikationsräume entwickelt haben. Entsprechend unklar ist die Forschungslage zu diesem Bereich. Grundsätzlich diskutiert wurde auch, wie Soziale Arbeit auf solche Entwicklungen reagieren solle, bzw. welche Strategien im Bereich der Sozialen Arbeit angesichts umfassender digitaler Transformationsprozesse erforderlich und realistisch sind.
Die Perspektive der politischen Bildung stand im Mittelpunkt des Workshops von Julian Ernst (Universität Köln). Den Bildungsforscher interessierte die Frage des pädagogischen Erfolgs und des Nutzens von Online-Bildungsangeboten. Dazu wertete er Videos der politischen Bildung aus. Durch die qualitative Inhaltsanalyse von Nutzerkommentaren konnte er zeigen, dass hier durchaus auch problematische Effekte zu verzeichnen sind: So seien die entsprechenden Äußerungen häufig geprägt von Vorurteilen und Stereotypen gegenüber Muslim*innen und dem Islam; teilweise seien solche Rückmeldungen auch explizit als hate speech zu deklarieren. Kontrovers wurde der Befund diskutiert, ob durch Verlinkung ungewollt eine Nähe solcher Webvideoreihen zu extremistischer Propaganda erzeugt werde, die durch wenige Klicks erreichbar sei.
Die historische Perspektive stand im Zentrum des Vortrages von Simon Ottersbach (Universität Gießen). In seinem englischsprachigen Beitrag beschäftigte er sich mit der Bedeutung des Rundfunks während des Kalten Krieges anhand des Beispiels von Radio Free Europe. Man habe damals versucht, so Ottersbach, den Menschen in den Staaten des Warschauer Paktes durch attraktive Informations- und Meinungsbildungsangebote nicht nur eine Alternative zu den heimischen Medien zu bieten, sondern auch eine systemübergreifende Form von ‘imagined communities’ zwischen Ost und West zu schaffen. Ottersbach regte an, diese Erfahrungen auch für die derzeit anstehenden medienpolitischen Herausforderungen im Kontext von Migration zu nutzen.
Tim Wolfgarten (Universität Köln) befasste sich mit dem in Ausstellungen verwendeten Bildmaterial zum Thema Migration. Dazu stellt er die Ergebnisse einer Studie vor, die insgesamt 814 Ausstellungen zum Thema Migration im Zeitraum von 1974 bis 2013 untersuchte. Im Vortrag ging es zum einen um eine diskurspolitische Perspektive, insofern Bilder vorherrschende Diskurse nicht nur „abbilden“, sondern auch mitschreiben bzw. ausformen; zum anderen wurden auch pädagogische Fragestellungen mit Blick auf die affektiven Potentiale von Bildern erörtert.
Fotografische Darstellungen standen auch im Mittelpunkt des Beitrages von Jan Zychlinski (Berner Fachhochschule für Soziale Arbeit); ihn interessierte der Vergleich von Bildern von Flüchtenden und Geflüchteten insbesondere im Zusammenhang von Bildproduktion, Rezeption und den damit verbundenen Auswirkungen. Insbesondere die Faktoren Raum und Zeit seien für maßgebliche Unterschiede verantwortlich, so die These von Zychlinski.
Marike Bormann (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) und Eric Müller (JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, München) stellten zum einen Befunde aus einem Forschungsprojekt zu unterschiedlichen Medienangeboten über Flucht, Migration und Integration vor, die Heranwachsenden zur Information dienen; zum anderen wurde diskutiert, wie solche Angebote von Jugendlichen angesichts ihrer individuellen lebensweltlichen Situation angeeignet werden.
Andreas Oberlinner (JFF - Institut für Medienpädagogik, München) befasste sich mit der Frage, welche Rolle die lebensweltlichen Hintergründe von österreichischen Familien bei der Wahrnehmung der so genannten „Flüchtlingskrise“ spielen. Die Ergebnisse der vorgestellten qualitativen Längsschnittstudie zur Rolle von Medien in der Sozialisation sozial benachteiligter Heranwachsender und Ihrer Familien weisen darauf hin, dass die untersuchten Familien im Hinblick auf die Flüchtlingskrise mit besonderen Herausforderungen konfrontiert waren. Die Medien – so ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie – seien im Hinblick auf die Information und Meinungsbildung dieser Familien von großer Bedeutung.
Journalistische Fragen standen im Mittelpunkt des von Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmeppen (Katholische Universität Eichstätt) ausgerichteten Workshops. In kritischer Auseinandersetzung mit der vorfindlichen journalistischen Praxis warf er die Frage auf, welche Ansprüche an verantwortliches journalistisches Handeln zu stellen seien und verwies in diesem Zusammenhang auch auf den Zusammenhang der Bedeutung gesellschaftlicher Phänomene wie sozialer Zusammenhalt und Gemeinwohl, die gerade im Kontext von Migration von besonderer Bedeutung seien.
Die vielfach zitierte kanadische Situation stand im Mittelpunkt des Vortrags von Prof.‘in Dr. Nadia Caidi (Universität Toronto, Kanada). Die offensiv betriebene Einwanderungspolitik spiegelt sich auch in der medialen Berichterstattung: Flüchtlinge werden nicht als Opfer oder Belastungsfaktor begriffen, sondern als Chance zur Entwicklung der Gesellschaft. Naidi nahm in ihrem Beitrag eine transnationale Perspektive ein: Migrant*innen seien in einem Zustand von “in-betweenness”, der hinsichtlich des Informationsbedarfs, aber auch der verwendeten Medienpraktiken von Migrant*innen spezifische Dienstleistungen erfordere. Keinesfalls dürften die transnationalen Ressourcen, Fähigkeiten und Informationsbestände von Migrant*innen unterschätzt werden.
Auch Lore Hayek und Manuel Mayrl (Universität Innsbruck/Österreich) trugen mit ihrem Beitrag zur österreichischen Wahlkampfberichterstattung zur internationalen Perspektive der Tagung bei. Im Fokus stand dabei stand die Thematisierung von Migration und Asyl in regionalen und überregionalen Print- und TV Medien im letzten Jahr; diskutiert wurde dabei auch, wie sich die massive Thematisierung bzw. Engführung von Migrationsthemen und sozialen Problemen auf die Wahlergebnisse auswirkte.
Um ähnliche Zusammenhänge ging es im Workshop von Thomas Theurer (Uni Salzburg): Das vorgestellte Forschungsprojekt untersuchte Zusammenhänge zwischen der Art und Weise der Berichterstattung über Flucht- und Asylthemen und dem darauf bezogenen Medienrezeptionsverhalten Studierender. Anhand so genannter Latent Class Analysen konnten diesbezüglich typische Muster im Antwortverhalten der Rezipient*innen rekonstruiert und mögliche Konsequenzen für die politische Bildung diskutiert werden.
Mit der Frage der Mediennutzung von Flüchtlingen beschäftigte sich der Workshop von Noor Nazrabi. Die vorgestellte Studie referierte u.a. Erkenntnisse über Nutzungshäufigkeit, Zugangswege, präferierte Themenschwerpunkte, Beliebtheitsgrade der konsumierten Medien sowie Möglichkeiten und Barrieren des Informationszugangs.
Aus der Agency-Perspektive ging Lea Braun (Universität Köln) der Frage nach, welche Rolle die digitalen Handlungspraktiken Jugendlicher und junger Erwachsener bei der Herstellung von Öffentlichkeit im Kontext von Migration und Transkulturalität spielen. Anhand einer auf dokumentarischen Methoden basierenden Analyse wurden Bild-, Video- und Textinterpretationen einschlägiger medialer Produkte aus der muslimischen Community vorgestellt und diskutiert.
Robinson Dörfel befasste sich in seinem Workshop mit der Bedeutung digitaler Kommunikation bzw. sozialer Netzwerke auf politische Meinungsbildungsprozesse: Durch die Analyse von Posts und Kommentaren öffentlicher Facebook-Gruppen wurde die virale Verbreitung bestimmter politischer Deutungen in Kontext von Prozessen der ‚Online-Mobilisierung‘ nachgezeichnet und der Frage nachgegangen, wie solche Muster sich in Alltagspraktiken mit wirklichkeitskonstituierenden Folgen niederschlagen.
Ayla Güler Saied (Universität Köln) zeichnete die Bedeutung sozialer Plattformen wie Facebook und Youtube für die Entwicklung des Rap dar: Da man nicht mehr auf große Labels bei der massenhaften Verbreitung von Rap angewiesen sei, habe sich nicht nur der Rap als Musikform weiter entwickeln können; Rap stehe damit auch für neue Formen der Selbst-und Fremdrepräsentation und stelle auf diese Weise auch einen symbolischen Selbstermächtigungsakt dar.
Nur İncetahtacı Gunal ging in seinem englischsprachigen Beitrag der Frage nach, wie sich die Thematisierung in den Medien auf die sozialen Angebote für syrische Flüchtlinge in der Türkei auswirkte. Anhand einer in Gaziantep durchgeführten Untersuchung zeigte er, dass die in den (sozialen) Medien geäußerten Vorbehalte und negativen Thematisierungen syrischer Flüchtlinge gravierende Auswirkungen auf die soziale Situation von Flüchtlingen und die für sie vorgesehenen sozialen Angebote haben. Die Ergebnisse sind insofern besonders aufschlussreich, als in Gaziantep mehr als 440.000 syrische Flüchtlinge leben.
Prof. Dr Hans Karl Peterlini und Jasmin Donlic (Universität Klagenfurt) befassten sich im Rückgriff auf die Arbeiten von Bourdieu und Foucault mit den Möglichkeiten und Risiken der globalen Digitalisierung. Ausgangspunkt dafür war die Interpretation des Internet als sozialer Raum, der Optionen der Vernetzung biete, gerade aber auch für Migrationsgesellschaften besondere Problematiken berge – sei es im Hinblick auf die Zugänglichkeiten und Exklusionen neu entstandener offener oder versteckter Räume, der Überwindung oder auch Reproduktion sozialer Ungleichheit oder der Eröffnung neuer Diskursformen im Gegensatz zu Prozessen der Verhärtung, der Fanatisierung und der Entwicklung von Rassismus.
Esther van Lück und David Stiller (Universität Kiel) gingen anhand der populären Filmkomödie "Willkommen bei den Hartmanns“ der Frage nach, wie die 'Willkommenskultur' in Deutschland diskursiv verhandelt wird. Dabei gingen sie von der Prämisse aus, dass Massenmedien Themen und damit auch hegemoniale bzw. marginale Diskursstränge aufgreifen, diese aber durch dramaturgische und filmästhetische Bearbeitung neu anordnen und in den öffentlichen Diskurs zurückspielen.
Die Frage der Thematisierung von Migration bzw. Migrant*innen in Filmkomödien war ebenfalls Thema des Beitrages von Dr.‘in Marta Janachowska-Budych (Universität Poznań/Polen). Anhand ausgewählter Culture-Clash-Komödien ging es ihr neben der inhaltlichen Analyse um die didaktischen Potentiale des Einsatzes solcher Filme zur Problematisierung der dabei verwendeten Bilder von Migrant*innen.
Prof.‘in Dr. Schahrzad Farrokhzad und Prof. Dipl. Des. Nicole Russi (TH Köln) stellten die Möglichkeiten von Storytelling für die kritische Bewusstseinsbildung gegenüber etablierten Diskursformationen in den Medien vor und präsentierten hierzu ein fakultätsübergreifendes Hochschulseminar zum Thema "Multimediales Storytelling in der Migrationsgesellschaft“. Gezeigt wurde, wie Studierende der Studiengänge Soziale Arbeit und Design multimediale Inhalte wie Videos, Animationen, Infografiken oder Bildergalerien mit kurzen Texten verbinden – mit dem Ziel, in emotional ansprechender Weise Wissen bzw. Erfahrungen in Form von Geschichten aufzubereiten.
Dr. Alexander Martin (Universität Paderborn) ging in seinen Ausführungen auf die Möglichkeiten des didaktischen Umgangs mit migrationsspezifischen Themen im schulischen Kontext ein. Hierzu wurde die interkulturelle Medienerziehung als Bestandteil der Schulfächer des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes im Hinblick auf die fachdidaktische Potenziale und Herausforderungen diskutiert. Nach Einschätzung von Martin wird der entwickelte Stand der medienpädagogischen Diskurse im Schulbereich nicht genutzt; vielmehr sei das Themenfeld von Medien und Migration als fachdidaktisches Desiderat zu bezeichnen. Deutlich werde dies z. B. im Kontext von Schulbuchanalysen, in Form fehlender Diskurse in den Fachdidaktiken und fehlender Fortbildungen. Neben konzeptionell-theoretischen Überlegungen stellt er zur Illustration didaktischer Potentiale evaluierte Praxisprojekte vor.
Dr. Tobias Studer (Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten und Basel/Schweiz) richtete den Fokus seiner Ausführungen auf das Feld der Sozialen Arbeit. Er ging dabei von der These aus, dass sich die Grenzen von Privatheit und Öffentlichkeit zunehmend verwischen; dies habe insbesondere für Flüchtlinge gravierende Folgen, weil Privatheit aufgrund staatlicher Kontrollen kaum gewährleistet und die öffentliche, mediale Darstellung stark durch kulturalisierende Zuschreibungen geprägt sei. Die Forderung, Gegenöffentlichkeiten zu schaffen, richte sich auch an Soziale Arbeit; allerdings, so das kritische Fazit, habe man in Folge von Professionalisierungsbestrebungen diese Aufgabe seit den 1970er Jahren zunehmend aus dem Blick verloren.
Die Analyse der Medienangebote für geflüchtete Kinder in Großbritannien stand im Mittelpunkt des Vortrages von Dr.‘in Christine Singer (Universität London/UK). Ihr Fazit: Insgesamt würden anstelle authentischer Äußerungen der geflüchteten Kinder oftmals nur Klischees und Stereotype reproduziert. Ursächlich für diese Art von Remediatisierungsprozessen sei, dass die Autor*innen und Produzent*innen solcher in Rundfunk und Fernsehen ausgestrahlten Sendungen oftmals über wenig oder auch keinerlei eigene Flucht- bzw. Migrationserfahrung verfügen. Entsprechend sei genauer zu untersuchen, wer solche Inhalte für und über Kinder mit Migrations- und Fluchterfahrungen in Großbritannien produziere. Die Inhalte seien im Hinblick auf Fragen der Autorenschaft, der Authentizität und der Remediatisierungseffekte zu analysieren.
Auch Dr.‘in Christine Horz (Universität Bochum) sprach sich dafür aus, die aktive Rolle von Migrant*innen im Kontext von Medien herauszuarbeiten; sie konzentrierte sich in ihrem Plenumsvortrag auf das öffentlich-rechtliche Mediensystem in Deutschland und seine vorherrschenden Paradigmen der Integrationspolitik. Anknüpfend an die benannten Forschungsdefizite, forcierte der Vortrag einen Perspektivwechsel und nahm die medial aktiven Migrant*innen in den Blick, um forschungs- und praxisbasiert zu fragen, ob und inwieweit transkulturelle Wandlungsdynamiken am Beispiel öffentlich finanzierter Medien erkennbar sind.
In dem Vortrag von Dr. Simon Göbel (Netzwerk Flüchtlingsforschung) wurden die jüngsten Narrative und Diskurse im Kontext Flucht und Migration in Zusammenhang mit rechtspolitischen Ordnungsdiskursen thematisiert. Angelehnt an die Diskursanalyse von Foucault und den von ihm eingeführten Begriff des Dispositivs verdeutlichte Göbel, wie wichtig es ist, das „Ensemble“ aus heterogenen Elementen wie Diskursen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen etc. nicht nur auf ihre intendierten Wirkungen, sondern auch (tatsächlichen) Folgewirkungen hin zu untersuchen und in ihnen gesellschaftliche Transformationen zu erkennen; am Ende plädierte er für eine stärkere Einmischung auch der Wissenschaft in öffentliche Debatten.
Basierend auf einem Verständnis des Migranten als politisches Subjekt bzw. als „die politische Figur unserer Zeit“ (Thomas Nail) ging Prof.‘in Dr. Brigitte Hipfl (Universität Klagenfurt/Österreich) im folgenden Vortrag der Frage nach, welchen Beitrag Medien mit ihrer jeweiligen Logik und Ästhetik zu diesem Diskurs leisten und was diese „tun“ können. Dabei fokussierte sie insbesondere die Rolle von Medien bei der (Re-)Konstruktion und (Re-)Produktion von Migrationsdiskursen als Legitimationsinstrument für die Bekräftigung vorherrschender Bilder und Meinungen zu Migration. So lassen sich die Bilder von Migrant*innen ihrer Überlegungen zufolge einerseits als machtvolle, historisch kontingente Konfigurationen verstehen; in ihren Ausführungen nahm sich zudem eine genderbezogene Perspektive im Hinblick auf den historischen Wandel genderbezogener Figurationen von Migrantinnen ein.
Prof. Dr. Thomas Geisen (Fachhochschule Nordwestschweiz, Olten/Schweiz) befasste sich in seinem Workshop mit den komplexen Zusammenhängen zwischen medialen Diskursen und der Öffentlichkeit. Auch er kommt zu dem Ergebnis, dass das Bild von Migrant*innen in den Medien ambivalent sei. Dementsprechend sei es verkürzt, in Medien nur einen Faktor zur Herstellung homogener Vorstellungen von Migration zu sehen; in gleicher Weise werde durch Aneignungsprozesse neue Formen von Differenz erzeugt. Vor diesem Hintergrund wurde die Implikationen ambivalenter medialer Narrative für das Gemeinwesen diskutiert und danach gefragt, inwieweit das Ambivalenzkonzept geeignet ist, den Einfluss medialer Diskurse auf Migrant*innen und Flüchtlinge besser zu verstehen.
Niels Uhlendorf (Universität Lüneburg) diskutierte Selbst-Optimierungsprozesse im Kontext von Migration am Beispiel bildungserfolgreicher Deutsch-Iraner*innen. Zugehörigkeit, so die Argumentation Uhlendorfs, erscheine in diesem Sinne als ständige Performation von Leistung, wobei die widersprüchlichen Anrufungen im Sinne Butlers zu vielfältigen Unsicherheiten im Hinblick auf die Akzeptanz in der Mehrheitsgesellschaft führen. Dies zeige sich auch in Paradoxien von migrationsbezogenen Repräsentationen von Leistung und Optimierung in medialen Darstellungen.
Sylvia Löffler (Stadt Mannheim) zeigte in ihrem Workshop-Beitrag Re-Aktualisierungen und Neuschöpfungen antiziganistischer Figurationen im Kontext der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien nach Mannheim auf. Solche Figurationen würden in den Medien immer wieder durch Bilder untermalt und in synästhetischen Produktionen aufgeladen, wie die Referentin anhand einer exemplarischen Medienanalyse einer Reportage zeigte.
Dr.‘in Susanne Lang (Universität Köln) ging in ihrem Workshop-Vortrag anhand der Ergebnisse bildsprachlicher Medienanalysen exemplarisch auf politische Diskurse ein; dabei bezog sie sich auf die vermeintlich bestehende „Angst vor den Flüchtlingen“ in der Bevölkerung, aber auch auf diskursive Ereignisse wie die Silvesternächte 2016/2017. Dazu wurden konvergenzkulturelle Diskursfragmente, die mit Hilfe dokumentarischer Auswertungsverfahren interpretiert wurden, vorgestellt und diskutiert.
Nadine Sylla (Universität Osnabrück) befasste sich unter historischer Perspektive mit fluchtbezogenen Diskursen seit den 1970er Jahren in Deutschland. Sie zeigte im Hinblick auf bereits vorhandene Wissensbestände und Argumentationsfiguren zu Migration, Integration, Humanität und verwandter Themen sowohl Kontinuitäten als auch Brüche auf. Immer wieder tauche dabei die Frage auf, ob Deutschland überhaupt als Einwanderungsland zu verstehen sei. Ebenso ziehe sich die Frage nach dem gesellschaftlichen Veränderungspotential von Migration als roter Faden durch die Diskussion.
Daniela Müller (Universität Göttingen) stellte in ihrem Workshop Teilergebnisse des Forschungsverbundprojekts „Gender, Flucht, Aufnahmepolitiken. Prozesse vergeschlechtlichter In- und Exklusionen“ vor. Sie zeigte aus intersektionaler Perspektive auf, wie lokale und überregionale Zeitungen an ausgewählten Standorten und Landkreisen in Niedersachsen, an denen Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen und anderen Unterkünften Aufnahme finden, Migration und Gender verknüpfen. Deutlich wurde, wie tief die öffentliche und mediale Rezeption der sogenannten „Flüchtlingskrise“ durch vergeschlechtlichte Narrative geprägt ist.
Dr.‘in Verena Lorber (Universität Salzburg) arbeitete in ihrem Vortrag die Rolle medialer Berichterstattung bei der Darstellung von „Gastarbeiter*innen“ sowie die Diskurse über Arbeitsmigrant*innen anhand von zwei steirischen Printmedien (Kleine Zeitung, Neue Zeit) in der Phase der Anwerbepolitik von 1961 bis 1976 heraus. Ein Ergebnis ihrer Analyse war, dass weibliche Arbeitsmigrantinnen verhältnismäßig wenig in den Medien repräsentiert waren und wenn doch, die Darstellung von Frauen als Opfer und zum anderen als Kriminelle dann dominierte. Deutlich wurde weiterhin, dass die in den Medien (re)produzierten Bilder und Diskurse nicht nur die öffentliche Meinung zum Thema „Gastarbeit“ widerspiegelten, sondern die kollektive Meinung über ausländische Arbeitskräfte in der Steiermark maßgeblich prägten.
Einen passenden kulturellen Rahmen setzte Muhsin Omurca „Kabarettist mit Migrationshintergrund“, mit seinem Programm „Integration a la IKEA“. Dabei hielt er in der Rotunde der TH Köln in der Claudiusstraße der anwesenden Runde der Migrationsforscher*innen den Spiegel vor. Sein Programm fand großen Anklang unter den Anwesenden.
Nach drei Tagen konnten die Veranstalter*innen gemeinsam mit den Tagungsteilnehmer*innen ein kurzes und ausgesprochen positives Fazit ziehen: Das dichte, vielfältige Programm hatte viel Perspektiven auf die vielschichtigen Zusammenhänge zwischen Medien, Öffentlichkeit und Migration eröffnet. Die anwesenden Teilnehmer*innen waren sich zudem einig: die Wissenschaft sollte sich stärker in den öffentlichen Diskurs einmischen bzw. Wege suchen, wie sie stärker von der Politik und den Medienmacher*innen gehört wird.
Andreas Groß
Die Tagung wurde durch das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.
Hinweis: 19. Internationale Migrationskonferenz
Austragungsort der 19. Migrationskonferenz ist Dudelange (Luxemburg); organisiert wird die Konferenz durch das Centre de Documentation sur les Migrations Humaines (CDMH).
August 2018