Demokratiebildung und politische Bildung in der OKJA
Moritz Schwerthelm eröffnete die Tagung mit dem ersten inhaltlichen Beitrag. Darin setzt er sich dezidiert mit dem Handlungsfeld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und deren kodifizierten fachlichen Ansprüchen in Bezug auf die Förderung von Partizipation, politischer Bildung und Demokratiebildung auseinander. Vor dem Hintergrund eigener Forschungsergebnisse sowie weiterer bekannter Empirie, verweist er einerseits auf die damit einhergehenden Potenziale der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (gesetzliche Vorgaben, Strukturcharakteristika, Fachkonzepte, diverse Nutzer*innengruppen) für Demokratiebildung sowie politischer Bildung, andererseits aber auch auf die unterschiedlichen Probleme und Herausforderungen diesen fachlichen Anspruch gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen in der Praxis umzusetzen. Er begründet dies mit den unterschiedlichen Funktionen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, denen die Fachkräfte ausgesetzt sind (diverse Auftraggebende, Begriffe und Konzepte). Das professionelle Handeln besteht für Moritz Schwerthelm daher in einem situativen Wechsel zwischen diesen unterschiedlichen Funktionen. Hier führt er den Begriff der Funktionskontingenz ein, der damit die Unabschließbarkeit und Offenheit der Funktionen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zu fassen versucht, da die gesellschaftliche Funktion der Offenen Kinder- und Jugendarbeit ständig umkämpft und kontinuierlich neu verhandelt bzw. ausgehandelt wird.
Dies erfordert von Fachkräften und Adressat*innen einen Wechsel zwischen ihren Rollen, Adressierungen und Handlungsweisen. Mit dem Verweis auf das von ihm im Rahmen seiner Dissertation entwickelte Konzept der Funktionshybridität von Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, identifiziert Moritz Schwerthelm Momente des Politischen. Diese können in der Kombination mit den Strukturcharakteristika des Feldes entstehen. Theoretisch ist der Wechsel innerhalb der Funktionsblasen (Selbstorganisation, Bildung, Hilfe, Kontrolle) für die Fachkräfte nur durch Zustimmung (Diskursivität) und Mitgestaltung (Partizipation) der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen. Dies geschieht in den sogenannten Übergangsgestaltungen (Cloos et al 2007), - auf Basis von Freiwilligkeit. Diese sind daher als partizipatives Grundmoment zu verstehen. Diese Übergänge bergen das Potenzial Ordnungen und Verhältnisse zu kritisieren, zu transformieren und neu zu konstituieren, damit könnten sie ‚Momente des Politischen‘ sein. Diese Momente des Politischen verändern die Ordnung hin zu einem Aushandlungsanspruch und werden gleichermaßen als ermächtigende Partizipation verhandelt. Momente des Demokratischen verändern die Ordnung darüber hinaus hin zu einem Mitregierungs- also Entscheidungsanspruch und werden unter dem Begriff der emanzipativen Partizipation gefasst.
Abschließend weist Moritz Schwerthelm darauf hin, dass es seitens der Fachkräfte nicht nur notwendig sei die Interessen und Themen der Nutzer*innen „wahrnehmen (zu) können“, es gleichwohl einer ständigen und bewussten Übergangsgestaltung sowie Ermöglichung von Momenten des Politischen und Demokratischen bedarf. Stets verbunden mit dem Ziel der Ausweitung von Teilhabe, Rechten und Entscheidungsmacht sowie die Mitgestaltung von Übergängen durch Nutzer*innen zu ermöglichen, sind damit einhergehend auch die Zugehörigkeit bzw. Mitgliedschaft, Räume, Rechte sowie Gremien und Verfahren demokratisch zu gestalten. Letztendlich muss es darum gehen diese Ordnungen in den Einrichtungen reversibel zuhalten, diese gemeinsam mit den Nutzer*innen zu gestalten sowie die eigenen Ordnungen kontinuierlich kritisch zu reflektieren. Dies alles entspricht in seiner Summe dem Verständnis einer Praxis Offener Kinder- und Jugendarbeit, die Demokratie nicht nur als Bildungsgegenstand ausweist, sondern Demokratie und politische Bildung als Lebensform und deren Aneignung, im Rahmen einer gesellschaftlich-demokratischen Auseinandersetzung, Mitentscheidung und Mitverantwortung in der Einrichtung sowie im Sozialraum und der Kommune professionell ermöglicht.
Zur Person
Moritz Schwerthelm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und promoviert zum Thema Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem: Demokratische Partizipation und Demokratiebildung von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendarbeit, außerschulische Kinder- und Jugendbildung.