Zur Novelle der Weitersendung im Urheberrechtsgesetz

charisse-840x430.jpg (Bild: TH-Köln)

Nach kontroversen Diskussionen ist am 7. Juni 2021 das Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts in Kraft getreten. Die Novelle diente insbesondere der Umsetzung neuer EU-Richtlinien.

11.10.2021

Dr. Peter Charissé, Geschäftsführer ANGA Der Breitbandverband e.V. www.anga.de; Mitglied des Beirats der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht

Nach kontroversen Diskussionen ist am 7. Juni 2021 das Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts in Kraft getreten. Die Novelle diente insbesondere der Umsetzung neuer EU-Richtlinien. In der Öffentlichkeit bekannt geworden war unter dem Stichwort „Upload-Filter“ vor allem die politische Debatte um die Verantwortlichkeit von Online-Plattformen.

Neben diesen Grundsatzfragen der Online-Nutzung enthält eine der beiden Richtlinien aber auch neue Vorgaben speziell für die Weitersendung, also die lineare Verbreitung von Rundfunkprogrammen. In Anlehnung an die Satelliten- und Kabelrichtlinie aus dem Jahr 1993 hat sich in der Praxis für das neue Regelwerk die Bezeichnung „Online-SatCab-Richtlinie“ durchgesetzt.

Diese Terminologie erscheint jedoch eher irreführend. Denn weder ist das Hauptthema der Richtlinie die Satelliten- und Kabelverbreitung, noch beschränkt sie sich allein auf die Online-Verbreitung. Was sind die Kerninhalte? Im Bereich der Weitersendung von Rundfunkprogrammen soll den Netz- und Plattformbetreibern auch für neue bzw. jüngere TV-Übertragungsformen der komplexe Erwerb von Urheberrechten erleichtert werden. Dafür werden die schon lange für die Kabelweitersendung bestehenden Rechterwerbsmechanismen auf andere Formen der Weitersendung, insbesondere auf die ip-basierte Weitersendung im offenen Internet („Over the Top“ bzw. „OTT“) erstreckt. Ganz konkret bedeutet dies, dass – wie bei der Kabelweiterverbreitung – eine obligatorische kollektive Rechtewahrnehmung gilt, d.h. die Netz- und Plattformbetreiber können die Rechte gebündelt über Verwertungsgesellschaften erwerben und sind nicht mehr Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen einer unüberschaubaren Vielzahl einzelner Rechteinhaber ausgesetzt.

Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgaben durch eine technologieneutrale Anpassung des § 20b des Urheberrechtsgesetzes umgesetzt: Aus der „Kabelweitersendung“ ist die „Weitersendung“ geworden.

Dies ist mit Blick auf die tiefgreifenden Veränderungen bei der Verbreitung und Nutzung von Fernsehprogrammen ein überfälliger Schritt gewesen. Leider krankt die Novelle aber an mehreren Defiziten, von denen zwei für neue, ip-basierte Distributionsformen besonders erheblich sind:

Generell ausgenommen von der obligatorischen kollektiven Rechtewahrnehmung (Verwertungsgesellschaftspflicht) sind weiterhin die Sendeunternehmen selbst, sie dürfen ihre Rechte individuell vermarkten. Begründet wurde dies mit der Erwägung, dass die Zahl der Sendeunternehmen und der Lizenzierungsaufwand für die Netz- und Plattformbetreiber überschaubar sei. Dies ist eine Einschätzung, die in den 90er Jahren noch vertretbar gewesen sein mag, im Jahr 2021 darf man dies aber erheblich bezweifeln. Denn in Europa werden heute über Satellit mehr als 2000 Programme ausgestrahlt und nach der Vergrößerung der EU und der Freizügigkeit auch immer häufiger tatsächlich nachgefragt.

Umso wichtiger ist aufgrund der Ausnahme der Sendeunternehmen aus der Verwertungsgesellschaftspflicht, dass sie zur Lizensierung ihrer Inhalte auch in der digitalen Welt gesetzlich verpflichtet bleiben. Für die klassische Kabelverbreitung und IPTV konnte das in dem Gesetzesentwurf im Wesentlichen durch die Fortschreibung des Abschlusszwangs in § 87 des Urheberrechtsgesetzes gesichert werden. Für die neue Online-Weitersendung bzw. OTT gilt dies allerdings nur eingeschränkt. Dies widerspricht dem eigentlichen Leitmotiv der Novelle, der Technologieneutralität. Die EU und auch die deutsche Umsetzung war hier nicht konsequent.

Das zweite besonders gewichtige Defizit der Novelle liegt in der kompletten Aussparung der zeitversetzen Verbreitung von Fernsehprogrammen. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um das Angebot von Premium Content als Video on Demand, sondern allein um die zeitversetzte Bereitstellung von frei empfangbaren FreeTV-Inhalten innerhalb eines limitierten Zeitraums. In Zeiten von Streaming und IPTV werden solche ergänzenden Features, die häufig „Replay TV“ genannt werden, von den Kunden immer stärker nachgefragt, weil sie zunehmend die Vorteile einer nicht linearen, vom Sendeplan unabhängigen Programmnutzung aus anderen Bereichen kennen und dies nun auch vom normalen Fernsehen erwarten.

Trotz deren rasant wachsender Bedeutung haben zeitversetzte Angebote durch Netz- und Plattformbetreiber in die Novelle keinen Eingang gefunden. Dies obwohl sich hier mit der Vielzahl der Rechteinhaber, die zu einer Zersplitterung der Rechte führt, beim Rechteerwerb exakt die gleichen Probleme stellen, wie sie bei der linearen Verbreitung gesehen wurden. An dieser Stelle ist die neue Rechtsetzung leider hinter der Marktentwicklung komplett zurückgeblieben. Die Novelle ist bereits am ersten Tag überholt gewesen und bedarf dringend einer konsequenten Weiterführung in die neue TV- und Streamingwelt.

Oktober 2021


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