Hü oder Hott? – Gegensätzliche Rechtsprechung zweier Landgerichte zu Unternehmensgeldbußen

TH_20191118_medienrecht_19-min-840x430.jpg (Bild: TH-Köln)

Probleme bei der Auslegung und Anwendung der DS-GVO gibt es nicht erst seit gestern. Seit Geltung der DS-GVO hat die Aufsicht daher allerhand zu tun. Während es anfänglich vermehrt um Hilfestellungen bei der Klärung offener Rechtsfragen ging, geht es nun zunehmend ums Ganze.

22.03.2021

Lucia Burkhardt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Denn die deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden sind mittlerweile dazu übergegangen hohe Bußgelder wegen Verstößen gegen die DS-GVO zu verhängen. Eine der drängenden Fragen ist hierbei, ob Unternehmen bei Datenschutzverstößen selbst „Täter“ sein können oder nur die für das Unternehmen handelnden Mitarbeiter. Uneinigkeit herrscht dazu nicht nur in der Datenschutzpraxis und in der Wissenschaft, neuerdings streiten auch die Gerichte mit. Während das LG Bonn die Bebußbarkeit jur. Personen noch bejahte (Urt. v. 11.11.2020 – 29 OWi 1/20), lehnte das LG Berlin eine unmittelbare Verbandshaftung ab und stellte im Februar das millionenschwere Verfahren gegen die Deutsche Wohnen wegen „gravierender Verfahrensmängel“ ein (Urt. v. 18.2.2021 – 526 OWi LG) 212 Js-OWi 1/20 (1/20), 526 OWiG LG 1/20). Vom Tisch ist das Bußgeld hiermit jedoch nicht. Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde eingelegt. Mit etwas Glück erwartet uns also eine höchstrichterliche Klärung der Streitfrage. Denkbar ist sowohl ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH als auch eine Befassung des BVerfG, da nichts Geringeres als das Schuldprinzip bzw. das Gesetzlichkeitsprinzip vom LG Berlin ins Feld geführt wurde. Bis dahin braucht es allerdings noch ein wenig Geduld. Es lohnt sich daher die unterschiedlichen Positionen und deren Auswirkungen für die Praxis einmal genauer zu betrachten.

Die Position des LG Bonn

Das LG Bonn geht, wie auch die hiesigen Aufsichtsbehörden, davon aus, die DS-GVO regele die Frage nach der Bebußbarkeit von Unternehmen unmittelbar. Diese Sichtweise beruht im Kern auf der Formulierung des Art. 83 DS-GVO, der als Bußgeldadressat unmittelbar den „Verantwortlichen“ oder „Auftragsverarbeiter“ benennt, und ErwG 150 S. 3 der DS-GVO. Dieser verweist im Zusammenhang mit Unternehmensgeldbußen auf das supranationale Kartellrecht („Werden Geldbußen Unternehmen auferlegt, sollte zu diesem Zweck der Begriff „Unternehmen“ im Sinne der Artikel 101 und 102 AEUV verstanden werden“). Hier haften Unternehmen unmittelbar und selbstständig, es gilt das sog. Funktionsträgerprinzip. Die Anwendung des kartellrechtlichen Haftungsmodells hat zur Konsequenz, dass das Unternehmen für alle Verstöße „aus dem Unternehmen heraus“ haftet, gleichgültig welcher Mitarbeiter gehandelt hat. Einzige Ausnahme ist der Mitarbeiterexzess. Zudem muss die Aufsicht im Bußgeldbescheid nicht die konkrete Tat eines Mitarbeiters benennen und belegen, sondern lediglich den Verstoß gegen die DS-GVO. Gleichzeitig werden Führungs- und Leitungspersonen, indem die Haftung unmittelbar dem Unternehmen zugewiesenen wird, entlastet.

Die Position des LG Berlin

Das LG Berlin hat dem nun ausdrücklich widersprochen. Auffällig ist, dass sich das Gericht intensiv mit den Argumenten aus Bonn befasst hat, das Urteil aus Berlin liest sich daher fast wie eine Entscheidungsanmerkung. So beziehe sich ErwG 150 lediglich auf den Bußgeldrahmen, nicht jedoch auf die Frage nach den Voraussetzungen der Bebußbarkeit juristischer Personen. Zudem seien Kartell- und Datenschutzrecht nicht vergleichbar, da das supranationale Kartellrecht von einer europäischen Behörde (der europäischen Kommission) und nicht von nationalen Aufsichtsbehörden vollzogen werde. Dementsprechend wendet das LG Berlin nicht die Haftungsprinzipien aus dem Kartellrecht, sondern die nationalen Vorschriften zur Bebußbarkeit juristischer Personen und damit §§ 9, 30, 130 OWiG an. Nach diesen kann die jur. Person im Bußgeldverfahren nur sog. Nebenbetroffene sein, nicht selbst Täter einer Ordnungswidrigkeit (sog. Rechtsträgerprinzip). Dementsprechend ist im Bußgeldbescheid der handelnde Mitarbeiter ebenso wie Tathandlung und Tatzeitpunkt zu benennen und zu beweisen. Für eine Geldbuße reicht zudem nicht das Verhalten irgendeines Mitarbeiters des Unternehmens, sondern nur das Verhalten von Personen in Führungs- oder Aufsichtspositionen. Diese haften jedoch, auch für Aufsichtspflichtverletzungen, unmittelbar. Die Sichtweise des LG Berlin erhöht also die formalen Anforderungen an einen Bescheid und den Ermittlungsaufwand der Behörde auf der einen Seite, auf der anderen Seite begründet sie auch eine unmittelbare Haftung von Führungs- oder Aufsichtspersonen sowie dem Unternehmensinhaber.

Ausblick

Wie sich der Streit entwickeln wird, ist schwer vorherzusagen. Das LG Berlin hat zwar streitbare, aber durchdachte Argumente vorgetragen, die Rechtsprechung und Praxis sicherlich beeinflussen werden. Auf der anderen Seite stehen die Aufsichtsbehörden, die bisher nicht von ihren Positionierungen abgewichen sind und von einem erheblichen Teil der Literatur gestützt werden. Rechtssicherheit kann letztlich nur eine höchstrichterliche Entscheidung bringen. Darüber, wann diese zu erwarten ist, lässt sich nur spekulieren. Mit einer Entscheidung vor Jahresende dürfte aber nicht zu rechnen sein.

Weiterführende Hinweise:

Schwartmann/Burkhardt Vorbeugender verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz zur Abwehr drohender Bußgeldverfahren im Datenschutzrecht, 2021.

https://www.gdd.de/aktuelles/startseite/gutachten-zum-vorbeugenden-rechtsschutz-bei-bussgeldern

März 2021


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