Eine große Herausforderung für die Akteure des Rechtssystems und für die Medien
Die Akzeptanz des Rechtsstaats setzt voraus, dass die Menschen ihr Rechtssystem und dortige Entscheidungen grundsätzlich verstehen können.
07.03.2022
Christoph Lepper, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Düsseldorf
Jeder hat eine ungefähre – in den meisten Fällen auch zutreffende – Vorstellung davon, was ein „Diebstahl“ ist oder ein „Mietvertrag über Wohnraum“. Deutlich schwieriger ist es für den juristischen Laien, z.B. nachzuvollziehen, unter welchen Voraussetzungen eine komplizierte Zinsklausel in einem Darlehensvertrag unwirksam ist und welche Substanz den (gefühlt) marginalen Unterschieden zwischen unwirksamen und wirksamen Klauseln zukommt.
Was nicht verstanden wird – bisweilen auch kaum verständlich ist –, bereitet beim Betrachter Unbehagen und stößt auf Skepsis oder gar Ablehnung.
Dem Recht geht es in dieser Hinsicht nicht besser als zeitgenössischer Kunst, die selten ein Publikumsmagnet war, bisweilen Spott ausgesetzt ist und häufig auf Ablehnung stößt.
Der Kunstbetrieb hat dieses Problem erkannt und entsprechend reagiert: Jedes Museum bietet dem interessierten Besucher eine Führung oder jedenfalls Erläuterungen in Schrift oder Ton an, die den Zugang des „Laien“ zu den ausgestellten Werken erleichtern.
Das Recht gilt als die „Kunst des Billigen und Gerechten“ – jus est ars boni et aequi. Es wäre naiv, zu glauben, das zeitgenössische Recht sei für den Betrachter leichter verdaulich als Werke der zeitgenössischen bildenden Kunst.
Aber wo sind die „Guides“ im Eingangsbereich einer Behörde oder eines Gerichts? Wo ist die niederschwellige Zugangshilfe für den interessierten Betrachter in Schrift oder Ton?
Es gibt sie – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht.
Zwar gibt es in der Justiz Pressesprecherinnen/Pressesprecher. Das sind Staatsanwältinnen/Staatsanwälte und Richterinnen/Richter, die mit einer (nur) gewissen Pensenbefreiung von ihrer eigentlichen Tätigkeit in aufsehenerregenden Fällen (ausschließlich) den Medien Auskunft geben. Was bei den Bürgerinnen und Bürgern an Vermittlung ankommt, liegt mithin ganz überwiegend in der Verantwortung der Medien.
Die Herausforderung ist gewaltig!
Bereits die Informationsbeschaffung als Voraussetzung einer sachlich fundierten Berichterstattung ist in der Praxis häufig ein Abenteuer: In welchem Umfang und wem gegenüber und zu welchem Zeitpunkt im Verfahren müssen / dürfen Gerichte und Behörden Auskünfte erteilen und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen? Die einschlägigen Regelungen der Pressegesetze lassen einen erheblichen Interpretationsspielraum, der immer wieder zu Kontroversen führt. So wurde zuletzt beispielsweise kontrovers diskutiert, ob die Praxis des Bundesverfassungsgerichts, die Mitglieder der „Justizpressekonferenz“ – eine Vereinigung, der nur spezialisierte Rechtsjournalisten beitreten können – vorab über wichtige Entscheidungen zu informieren, rechtmäßig und zeitgemäß sei. In Strafprozessen ist regelmäßig streitig, wann die Justiz gegenüber Medien wie viel Informationen und Details preisgeben darf.
Auch die Binnenwelt der Medien erschwert sachlich fundierte und verständliche Berichterstattung über das Recht: Das Recht wird tendenziell komplizierter – die Töpfe für die Finanzierung von Qualitätsrecherchen kleiner.
Meines Erachtens muss der Rechtsstaat von den Museen lernen: Die Vermittlung der – mitunter schwer verdaulichen – Inhalte ist fast genauso wichtig wie die Inhalte selbst. Hier muss deutlich mehr getan werden, damit das „Publikum“ dem Rechtsstaat treu bleibt.
Das 13. Kölner Mediensymposium wird am 23. März 2022 die Herausforderungen an Qualitätsberichterstattung über juristische Themen zum Gegenstand haben. Nach einem Impulsvortrag des Leiters der ARD-Rechtsredaktion, Dr. Frank Bräutigam, wird ein hochkarätig besetztes Panel diskutieren. Die Online-Veranstaltung ist frei zugänglich und kommt inhaltlich ohne „Guide“ aus – versprochen…
März 2022