Ein Rollstuhl aus der Zeit um 1900
Die Materialkombination dieses Rollstuhls bot in zweierlei Hinsicht einen spannenden Aspekt für eine restauratorische Auseinandersetzung. Zum einen stellen die verwendeten Materialien wichtige Anhaltspunkte für die zeitliche Einordnung des Objektes dar und zum anderen erwies sich die Materialvielfalt bei der Restaurierung und Konservierung als eine besondere Herausforderung.
Springe zu
Studienprojekt auf einen Blick
Kategorie | Beschreibung |
---|---|
Projekt | BA-Arbeit 2018: Restaurierung und Konservierung eines Rollstuhls um 1900 aus dem Ruhr Museum Essen |
Studienrichtung | Objekte aus Holz und Werkstoffen der Moderne |
Beteiligte | Franziska Timmermann |
Betreuung | Prof. Dr. Friederike Waentig, Andreas Krupa Dipl-Rest (FH) M.A., Melanie Dropmann Dipl-Rest (FH) M.A. |
Projektpartner | Ruhr Museum, Essen |
Laufzeit | 2016 - 2018 |
Impressionen vom Studienprojekt
Hier ist das Fußteil des Rollstuhls mit einem grünen Linoleumbelag zu sehen. Das ursprünglich als Bodenbelag entwickelte Material wurde aufgrund seiner hygienischen Eigenschaften häufig an Rollstühlen aus dieser Zeit verwendet. (Bild: TH Koeln - CICS - Franziska Timmermann)
Händische Zeichnung des Rollstuhls, um die drei Baugruppen des Objektes darzustellen: Sitzeinheit, Fußteil und Untergestell mit Laufrädern. (Bild: TH Koeln - CICS - Franziska Timmermann)
Dieses Vergleichsobjekt aus einem Katalog von 1928 der Firma H.W. Voltmann aus Bad Oeynhausen weist eine auffallend hohe Ähnlichkeit zu dem hier vorgestellten Objekt auf. Die Firma wurde bereits 1871 gegründet. Der Name des Modells "Fahrstuhl Westfalia Nr. 1" lässt vermuten, dass es sich um das erste oder eines der ersten Modelle der Firma gehandelt hat. Dieses wurde demnach über einen längeren Zeitraum, in dem neue Modelle hinzukamen, angeboten. (Bild: Erste Oeynhausener Krankenfahrzeug-Fabrik H. W. Voltmann)
Hier ist eine der Außenseiten des Fußteils vor (oben) und nach (unten) der Restaurierung zu sehen. Die Kittungen und Leimreste wurden entfernt und der Riss verleimt. (Bild: TH Koeln - CICS - Franziska Timmermann)
Im oberen Bild ist eine Fehlstelle in einer Sperrholzplatte am Rollstuhl zu sehen. Das untere Bild zeigt eine Ergänzung mit Balsaholzstäbchen. Anschließend wurde die Ergänzung farblich angeglichen. (Bild: TH Koeln - CICS - Franziska Timmermann)
Hier ist ein Ausschnitt des Linoleumbelags zu sehen, der einen Riss mit hochstehenden Bruchflanken aufweist. Im unteren Bild ist dieser Ausschnitt nach den Konservierungsmaßnahmen zu sehen. Es wurde eine Reinigung durchgeführt, die Bruchflanken niedergelegt und der Riss verklebt. (Bild: TH Koeln - CICS - Franziska Timmermann)
Der Rollstuhl setzt sich aus einer Sitzeinheit mit Rohrgeflecht und einem Fußteil aus Holzwerkstoffen mit einem Linoleumbelag zusammen, die auf ein metallenes Untergestell gesetzt sind. An diesem Untergestell sind drei Laufräder mit einer Vollgummibereifung montiert. Das Objekt gehört dem Ruhr Museum in Essen, dessen zentralen Sammlungsschwerpunkt die Kultur- und Sozialgeschichte des Ruhrgebiets im 19. und 20. Jahrhundert bildet. Eine Studierende des CICS hat den Rollstuhl in Hinblick auf seine Konstruktion, die verwendeten Materialien und seinen Erhaltungszustand untersucht sowie Recherchen zu der historischen Entwicklung von Rollstühlen angestellt. Auf Grundlage dessen war es möglich das Objekt zu datieren und ein Konservierungs- und Restaurierungskonzept zu erstellen.
Datierung
In vormoderner Zeit war das Privileg der Fortbewegung den wohlhabenden Bürgern vorbehalten. In den gesichteten Quellen tauchen verschiedene rollstuhlartige Konstruktionen auf, die sich in ihrer Bauweise und ihrem Komfort deutlich voneinander unterscheiden. Es handelte sich also zunächst um individuelle Einzelanfertigungen. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts nahm die Anzahl der Hersteller von Rollstühlen zu und die ersten Fabriken zur industriellen Fertigung entstanden. Die Ausführungen wurden im Zuge der Industrialisierung weniger üppig und setzten eher auf Funktionalität und eine günstige Herstellung für eine möglichst breite Bevölkerungsschicht.
Eine Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Entwicklung von Rollstühlen, die Sichtung von Vergleichsobjekten sowie die Betrachtung der Bauweise zeigten, dass es sich bei dem hier beschriebenen Objekt um einen industriell hergestellten Rollstuhl handelt, der in den Jahrzehnten um 1900 entstanden sein muss.
Die verwendeten Materialien lassen eine nähere Eingrenzung des Entstehungszeitraumes vornehmen, beispielsweise das grüne Linoleum am Fußteil des Rollstuhls. Linoleum wurde zwar schon 1860 in England erfunden, wurde in diesem Farbton aber erst seit 1892 in Deutschland hergestellt. Dass der Linoleumbelag nachträglich angebracht wurde, konnte ausgeschlossen werden. Einen weiteren Hinweis zur Datierung des Objektes liefert die Herstellungsweise einer am Fußteil verwendeten Sperrholzplatte. Als Klebemittel konnte Kaseinleim nachgewiesen werden, welcher in der Sperrholzindustrie seit und vor allem während des Ersten Weltkriegs zum Einsatz kam. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der Rollstuhl während oder nach dem Ersten Weltkrieg hergestellt wurde.
Restaurierungs- und Konservierungskonzept
Bei der Konzeptentwicklung galt es den Erhalt des Rollstuhls mit den Spuren seiner Alterung und Nutzung mit den optischen Anforderungen, die an ein Museumsobjekt gestellt werden, zu vereinen. Der Zustand des Objektes lässt keine erneute Benutzung des Rollstuhls zu, er sollte lediglich als Ausstellungsobjekt gezeigt werden. Die Maßnahmen sind darauf ausgelegt worden, den Erhalt der Originalsubstanz zu sichern. Maßnahmen, die der Verbesserung der Ästhetik dienen, wurden also nur in dem Maße vorgenommen, dass sie die Authentizität des Objektes nicht beeinträchtigen. Die Geschichte des Objektes und seine Gebrauchsspuren sollten auch nach der Konservierung und Restaurierung noch ablesbar sein. Bei der Umsetzung stellte die Vielfalt der am Objekt verwendeten Materialien im Hinblick auf ein einheitlich wirkendes Gesamtergebnis eine besondere Herausforderung dar.
Zusammenfassung durchgeführter Maßnahmen
Mit einer Trockenreinigung wurde der durch die Verschmutzung hervorgerufene graue Schleier am Objekt entfernt. Auch die Abnahme alter, unsachgemäß ausgeführter Kittungen wirkt sich positiv auf das Gesamtbild des Rollstuhls aus. Diese hatten durch ihre helle Farbigkeit den Blick des Betrachters auf sich gezogen.
Folgende Maßnahmen ermöglichten eine Sicherung der Originalsubstanz und senkten das Risiko weiterer Beschädigungen: Verleimungen an den Holzelementen, eine Ergänzung mit Balsaholzstäbchen, Verklebung gebrochener Rattanstränge am Geflecht des Sitzes sowie Verklebungen am Linoleumbelag, Reduzierung von Korrosionsprodukten und Auftrag eines Schutzüberzuges auf die Metallelemente.
Der Rollstuhl zeigt nun ein einheitlich wirkendes und gepflegtes Erscheinungsbild und könnte sich in einer Ausstellung sehen lassen!
Juli 2021