Theoretischer Hintergrund
Seit vielen Jahrzehnten weisen Institutionen sowie einzelne Vertreter der Wissenschaft (z.B. Club of Rome, Ivan Illich, Franz Moser oder Armin Grunwald) auf den zerstörerischen Raubbau unserer Welt hin und fordern ein drastisches Umdenken im wirtschaftlichen Handeln. Doch erst das allgemeine Gewahrwerden des menschengemachten Klimawandels hat die größte gesellschaftliche Transformation seit der industriellen Revolution ausgelöst. So wurden im Jahr 2015 auf höchster internationaler Ebene beim Gipfeltreffen der Vereinten Nationen in New York die 17 SDGs (Sustainable Development Goals) von allen Mitgliedsstaaten gemeinschaftlich beschlossen. Diese 17 Zielsetzungen sollen die Welt hin zu einem „gerechten Miteinander“ verändern. Im Brundtland-Bericht der WCED von 1987 wird ein „gerechtes Miteinander“ als nachhaltige Entwicklung bezeichnet. Nachhaltig ist eine Entwicklung,
„die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“
Demnach kann eine auf materiellem Wachstum basierende Wirtschaft angesichts einer steigenden Weltbevölkerung, einem steigenden Lebensstandard und endlicher Ressourcen nicht dauerhaft fortgeschrieben werden. Um ein lebenswertes Leben für alle Menschen heute und morgen zu ermöglichen, müssen – wie bereits im Brundtland Report gefordert – tiefgreifende Veränderung im wirtschaftlichen Handeln erfolgen und neue Ansätze für die industrielle Wertschöpfung gefunden werden.
Die modernen Industriegesellschaften setzen dabei ihre Hoffnung in technischen Fortschritt und Innovation als Lösungsbringer für die großen Herausforderungen der Zukunft. So verlangt die Europäische Union im Rahmen des sogenannten „Green Deal“ nach den „Best Available Technologies“, „Cleaner Technologies“ und „End of Pipe Technologies“, um eine nachhaltige Entwicklung auf Basis regenerativer Energie und Zirkularität der Ressourcen einzuleiten.
Dieses Technikvertrauen ist jedoch trügerisch. Neue Technologien können naturgemäß nur zur Lösung von Teilprobleme unserer Zeit beitragen. Und solche partiellen Verbesserungen an der einen Stelle werden nicht selten flankiert von gewaltigen negativen Begleitfolgen an anderer Stelle.
So zeigt der Blick in die Historie, dass die Entwicklung neuer Technologien und die Etablierung von Innovationen in Industrie und Gesellschaft letztendlich zu einer Zunahme von Ressourcenverbräuchen, Umweltschäden, etc. und letztendlich zum menschengemachten Klimawandel geführt haben. Die Ursachen dafür sind vielfältig:
- Technischer Fortschritt führt zu steigender Kapitalintensität in der industriellen Wertschöpfung, fordert Skaleneffekte ein, erzeugt Produktionszwänge und ein eklatantes Überangebot (z.B. an Autos, Smartphones oder Lebensmitteln).
- Transaktionskosten (für Finanztransaktionen, Datenaustausch, Gütertransporte und persönliche Mobilität) sinken, wodurch die Transaktionsintensität steigt
- Neue Technik erzeugt Abhängigkeiten, baut unumgängliche Infrastrukturen auf (z.B. im Bereich der Kommunikation und des Verkehrs) und schafft damit technische Konsumzwänge
- Neue Produktinnovationen schaffen Begehrlichkeiten und Scheinbedürfnisse, wecken soziale Vergleiche und intersubjektive Konsumzwänge
- Produktivitätssteigerungen erhöhen das relative Einkommen, die Kaufkraft und damit die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen
- Umweltorientierte, vermeintlich nachhaltige Produktinnovationen erzeugen verbraucherseitig ein „gutes Gewissen“ und erhöhen die Kauflust (Rebound-Effekt)
Diese und weitere Phänomene, die im Kausalzusammenhang mit technischem Fortschritt stehen, dürfen nicht ausgeblendet werden. Sie sind ursächlich für den steigenden weltweiten Ressourcenverbrauch und die massiven Belastungen unserer Ökosysteme.
Der integrierende Ansatz eines konvivialen Technologie- und Ressourcenmanagements nimmt die genannten Kausalzusammenhänge in den Blick. Im Zuge der Bewertung, Entwicklung und Umsetzung neuer Technologien werden damit einhergehende Ressourcenverbräuche und Stoffströme, Implikationen auf das Verbraucherverhalten, soziale Folgen sowie langfristige Pfadabhängigkeiten in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt und auf ein nachhaltiges Wirtschaften ausgerichtet.
Der Forschungsansatz verfolgt damit eine lebensgerechte Gestaltung des technischen Fortschritts und steht somit im Einklang zu der bestehenden Definition einer nachhaltigen Wirtschaft. Konvivialität als Leitmaxime der Industriegesellschaft steht im Gegensatz zur Produktivitätsmaxime, die auf rein materiell-monetäre Wachstumsziele ausgerichtet ist. Die Möglichkeiten neuer Technologien sollten nicht ihrer selbst willen erschlossen, sondern kritisch begutachtet und nach ethischen Maßstäben auf ihre Umsetzung hin zu nachhaltigem Wirtschaften bewertet werden. Die Forschungsgruppe erarbeitet in ihren Forschungsarbeiten das methodische und analytische Instrumentarium zur Praktizierung des konvivialen Ansatzes im Management von Technologien und Ressourceneinsätzen.